Diskussion ist nicht gleich Gespräch
Diskussionen finden in jeder Familie statt, echte Gespräche nur in den wenigsten. Dabei ist eine liebevolle, lösungsorientierte Kommunikation ein essenzieller Baustein des familiären Zusammenhalts. Nur wenn aus Diskussionen echte Gespräche werden, kann die Familie von Einzelkämpfern zu einer festen Gemeinschaft werden. Eine Familie, in der vor allem die Kinder sich verstanden und in ihrem Denken und Fühlen ernst genommen sehen.
Bei der Diskussion geht es darum, die eigene Ansicht durchzusetzen. Es ist ein “Gegeneinander”. Beim echten Gespräch geht es im 1. Schritt darum, wirklich zuzuhören, ohne direkt daran zu denken, wie gekontert werden kann. Im 2. Schritt geht es darum, zu verstehen. Die Gedanken und Emotionen des anderen zunächst anzunehmen und anzuerkennen. Im 3. Schritt geht es darum, eine Lösung für das Problem zu finden, die den islamischen Prinzipien und Zielen der muslimischen Familie entspricht. Im echten Gespräch findet ein lösungsorientiertes “Miteinander” statt.
Wer darf mitreden?
In der muslimischen Familie dürfen alle mitreden, insbesondere die Kinder! Denn der Meinungs-austausch und das Gespräch sind prägende Elemente des muslimischen Miteinanders. Die islamische Mashwara (auch als Shura bezeichnet) hat uns der Prophet Muhammad ﷺ gelehrt. Er ﷺ pflegte seine Gefährten und seine Frauen regelmäßig zu Rate zu ziehen und nahm ihre Ansichten ernst. Diese für jeden Muslim wichtige Fähigkeit der Mashwara lernen Kinder in der Familie.
“Und diejenigen, die auf ihren Herrn hören und das Gebet verrichten, ihre Angelegenheiten durch Beratung untereinander (regeln) und von dem ausgeben, womit Wir sie versorgt haben” (Sure Ash-Shura, Vers 38)
Im Islam hat die Beratung Grenzen
Selbstverständlich werden im Rahmen der islamischen Mashwara keine Inhalte zur Diskussion gestellt, die Allah (swt) abschließend geregelt hat. Ein Rahmen für das familiäre Gespräch besteht dort, wo der Islam einen Rahmen für einen Austausch von Ansichten und Meinungen offengelassen hat. Ob und wie die Gebete verrichtet werden, ob die Frauen der Familie den islamischen Hijab tragen, ob die Eltern ihren Kindern den Islam beibringen, ob im Ramadan gefastet wird, ob der Familienvater für die Versorgung seiner Familie verantwortlich ist, ob die Verwandtschaftsbande gepflegt werden…all dies steht nicht zur zur Disposition der Familie. Ein Gespräch über diese Inhalte ist sehr wichtig, vor allem mit den Kindern. Ein solches Gespräch ist aber ein erklärendes, kein entscheidendes. Nach diesem Prinzip werden die Maßgaben der islamischen Kindererziehung den Kindern gern und ausführlich erklärt, den Kindern aber nicht zu einer Entscheidung freigestellt.
Die muslimischen Eltern sind fortlaufend damit beschäftigt, ihren Kindern den Islam, seine Überzeugungen, Werte und seine Praxis zu erklären. Gleichzeitig werden die Kinder motiviert, angstfrei ihre Frage zu stellen und ihre Gefühle mitzuteilen. Ins Gespräch über die Umsetzung der islamischen Familienziele werden sie aktiv einbezogen, ohne diese Ziele selbst zur Disposition zu stellen.
Nicht: “Ich möchte, dass ihr entscheidet, ob ihr beten solltet.” Sondern: “Lasst uns über Wege sprechen, wie wir unser Gebet stärken können.”
Nicht: “Lasst uns überlegen, ob wir diesen Ramadan als Familie fasten.” Sondern: “Lasst uns beraten, wie wir den kommenden Ramadan am besten für unsere Ibadat nutzen können.”
Nicht: “Du musst selber entscheiden, wie viel Schokolade du isst.” Sondern: “Lasst uns darüber sprechen, wie wir uns als Familie gesünder ernähren können.”
Nicht: “Überleg selber, wie viel Zeit am Handy gut für dich ist.” Sondern: “Lass uns gemeinsam Alternativen zum Handy entwickeln.”
Die Bedeutung des familiären Gesprächs
Die Vorzüge des echten familiären Gesprächs sind zahlreich. Denn zusätzlich zum offensichtlichen Meinungsaustausch wird erreicht, dass…
…die Eltern die Emotionen ihrer Kinder erkennen und in der Lage sind, emotionale Lücken zu füllen.
…die Eltern Verständnislücken oder sogar Fehl-verständnisse der Kinder erkennen und korrigieren.
…die Eltern Feedback von ihren Kindern zu ihren Erziehungsmethoden bekommen und sich ggf. korrigieren und verbessern.
…der Familienzusammenhalt gefördert und das gegenseitige Vertrauen gesteigert wird.
…die Kinder ein Gefühl der Verantwortung für die familiären Belange entwickeln.
…die Kinder für ihre Zukunft eine erfolgreiche Gesprächsführung (die islamische Mashwara) üben.
Die Voraussetzungen des erfolgreichen Familien-Gesprächs
Die reine Absicht (An-Niyya): Alle Gesprächsbeteiligten haben die Absicht, zu einem Ergebnis zu gelangen, das Allah (swt) zufrieden-stellt und Allahs Grenzen im Gespräch zu wahren.
Die gute Annahme (Husn az-Zann): Jeder geht bei seinem Gegenüber vom Guten aus und interpretiert Gutes statt Schlechtes in mehrdeutige Aussagen.
Reden mit Wissen: Die Gesprächspartner sprechen vor dem Hintergrund ihres Wissens. Unnötige Spekualtionen und Mutmaßungen sind zu vermeiden.
Rahmen und Ziel: Ein effektives Gespräch hat einen festgesteckten Gesprächsrahmen (Thema) und ist auf ein verständliches Ziel ausgerichtet (Ergebnis).
Gesprächs-Adab: Im Gespräch werden die islamischen Benimmregeln der schönen Rede gewahrt. Drohungen, Beleidigungen und Kränkungen sind unzulässig.
Klare Rede: Der Gesandte Allahs ﷺ lehrte uns die klare, verständliche Rede mit den Menschen. Das Gespräch ist nicht dazu da, um seine Redekünste unter Beweis zu stellen, sondern insbesondere den Kindern klare, verständliche Botschaften zu vermitteln.
Der Gesandte Allahs ﷺ sagte: “Die Schamhaftigkeit und die Zurückhaltung in der Rede sind zwei Teile des Iman. Die schlechte und die übermäßige Rede sind zwei Teile der Heuchelei.” (Sunan At-Tirmidhi)
Habt ihr einen Familienrat?
Viele erfolgreiche muslimische Familien haben einen Familienrat. Der Familienrat tagt regelmäßig, etwa einmal im Monat. Alle Familienmitglieder kommen zusammen und besprechen einen Belang der Familie. Der Familienrat wird vorbereitet, indem das zu besprechende Thema vorher festgelegt wird und alle ein paar Tage Zeit bekommen, sich darüber Gedanken zu machen. Der Familienrat wird moderiert, damit Zeitrahmen, Thema und die islamischen Gesprächsregeln eingehalten werden. Die Kinder sind aktiv am Gespräch beteiligt. Selbst die Allerkleinsten werden zumindest symbolisch am Familienrat beteiligt. Der Familienrat wird mit Koranrezitation und Du’a eröffnet und beendet. Er ist ein wunderbarer Rahmen für Groß und Klein, die Kunst der islamischen, effektiven Gesprächsführung im geschützten Rahmen der Familie zu erlernen und zu üben.