Denken – Fühlen – Handeln
Wer eine islamische Kindererziehung anstrebt, vermittelt seinem Kind den Islam idealerweise auf allen Ebenen: intellektuell (denken), emotional (fühlen) und praktisch (handeln). Denn der Islam ist ein Deen, der das menschliche Dasein auf allen Ebenen adressiert und ordnet. Die Offenbarung will die menschliche Nafs durch wahrhafte Erkenntnis, Reinheit des Herzens und gute Taten erheben. Der Qur’an und die Sunna adressieren immer und immer wieder diese Trias von Denken, Fühlen und Handeln. Auch die modernen Kognitionswissenschaften sind inzwischen bemüht, diesen (den Muslimen seit Jahrhunderten bekannten) Zusammenhang zu erschließen und für Psychologie und Erziehungswissenschaften nutzbar zu machen.
“Was nun diejenigen angeht, die glauben und rechtschaffene Werke tun, so wird Er ihnen ihren Lohn in vollem Maß zukommen lassen und ihnen von Seiner Huld noch mehr erweisen. Was aber diejenigen angeht, die es verschmähen und sich hochmütig verhalten, so wird Er sie mit schmerzhafter Strafe strafen.” (Sure An-Nisa, Vers 173)
Die Rolle der Gefühle
Emotionen übernehmen im Menschen zahlreiche, teils überlebenswichtige Funktionen und bilden neben der rationalen Erkenntnis die zweite tragende Säule des menschlichen Bewusstseins. Die islamische Kinder-erziehung zielt darauf ab, eine ganzheitliche muslimische Persönlichkeit zu formen. Gefühle übernehmen im langjährigen Prozess der islamischen Kindererziehung bedeutsame Funktionen, vor allem: das Absichern des Gelernten und das Motivieren zum richtigen Handeln.
Der kindliche Verstand ist noch unreif. Deshalb reicht es nicht aus, Überzeugungen und Werte ausschließlich rational zu vermitteln. Vielmehr müssen Emotionen erzeugt und genährt werden, die das Gelernte umgeben und absichern. Liebe zu Allah und Seinem Gesandten, Zuneigung zu allen Gottesdiensten, Vertrauen in die Weisheit Allahs, Ehrfurcht vor Allahs Schöpfung, Abscheu davor, Allahs Unzufriedenheit zu erregen, Liebe und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Muslime, Schamhaftigkeit…all diese und weitere Gefühle sichern auch jene Verständnisse ab, die das Kind erst später vollständig erfassen kann.
Die Funktion der Gefühle
Wer etwa gelernt hat, den Hijab als Teil der islamischen Kleiderordnung für die Frau innig zu lieben und sich für seine Blöße zu schämen, hat in der Liebe und Scham einen Rettungsanker: Wenn es heftigen gesellschaftlichen Gegenwind gibt, oder die unbegründete Behauptung auftaucht, der Hijab sei keine Pflicht…in solchen Momenten kann Unsicherheit auftreten. Die erlernte Liebe zum Hijab und die bereits in der Kindheit trainierte Scham tragen dann über die innere Unruhe hinweg und motivieren, sich weiterhin richtig zu verhalten. Dieses Prinzip lässt sich auf jedes andere Gebot und jeden anderen islamischen Inhalt anwenden. Die Gefühle sind ein Rettungsanker und ein Motiv, aktiv zu werden und sich richtig zu verhalten.
Allerdings sind menschliche Gefühle unstet und subjektiv. Deshalb bedarf es eines übermenschlichen Maßstabes, an dem sie auszurichten sind. Diesen Maßstab bildet im Islam die Offenbarung Allahs, des Vollkommenen, Der weder Schwankungen noch Irrtum unterliegt.
Der Gesandte Allahs ﷺ pflegte Allah (swt) deshalb zu bitten: “Oh Wender der Herzen, festige mein Herz auf Deinem Deen.” (Sunan At-Tirmidhi)
Was sind islamische Emotionen?
Als islamisch werden Emotionen bezeichnet, die der Mensch basierend auf der Gesetzgebung Allahs formt und an den Prinzipien und Werten der Offenbarung ausrichtet. Der Iman eines Muslims ist erst dann vollkommen, wenn er liebt, womit der Islam gekommen ist und verabscheut, was im Islam verboten ist:
“Dies, weil sie dem folgen, was Allah missfällt, und ihnen Sein Wohlgefallen zuwider ist, und so lässt Er ihre Werke hinfällig werden.” (Sure Muhammad, Vers 28)
Der Gesandte Allahs ﷺ sprach: “Wer für Allah liebt und für Allah verabscheut und für Allah unterlässt, der hat seinen Iman vervollkommnet.” (Sunan Abi Dawud)
Der Islam ist kein Gesetzeskatalog. Er ist ein komplexes System, das den Menschen auf der Basis einer umfassenden Überzeugungslehre zum richtigen Handeln motiviert. Die islamischen Überzeugungen und das islamkonforme Handeln werden von den entsprechenden Emotionen abgesichert.
Die harmonische Persönlichkeit
Ziel der islamischen Kindererziehung ist es, eine ganzheitliche Persönlichkeit zu formen. Einen jungen Menschen, der vom islamischen Weltbild felsenfest überzeugt ist, der bestrebt ist, gottgefällig zu handeln und der liebt, was Allah und Sein Gesandter lieben und verabscheut, was Allah den Menschen verboten hat. Das Formen dieser Persönlichkeit beginnt bereits im Kleinkindalter. Denn auch wenn Kinder noch nicht das gesamte Ausmaß gewisser islamischer Überzeugungen und Normen verstehen, sind sie überaus empfänglich für die Gefühle, die im Haushalt damit verbunden werden und werden sie zeitlebens mit sich tragen.
Wer nicht überzeugt ist, handelt nicht. Wer ohne Emotion handelt, empfindet Belastung und Erschwernis. Wer hingegen überzeugt ist und den Islam liebt, seine Gebote und Verbote empfindet…Diese Persönlichkeit ist für gesellschaftlichen Gegenwind, Einflüsterungen und Versuchungen mit Allahs Hilfe bestens gewappnet.
Emotionen vermitteln und erzeugen
Das kindliche Denken ist noch unreif und auch die kindliche Nafs hat Mechanismen der Selbstkontrolle und Disziplin noch nicht vervollständigt. Kinder sind allerdings unglaublich empfänglich für Emotionen. Um in den Kindern islamische Emotionen zu erzeugen, ist es zunächst wichtig, die Kinder an den Emotionen der Eltern teilhaben zu lassen und diese auch zu besprechen. Wenn Eltern aus Ehrfurcht vor Allah (swt) oder aus Liebe zum Gesandten ﷺ weinen, wenn sie sich über einen Sieg der Muslime freuen, wenn sie Abscheu vor Götzendienst, Alkohol und Zina empfinden, wenn sie sich über die Schöpfung Allahs freuen, wenn sie über einen Fehler traurig sind, wenn ein Vers aus dem Qur’an sie ergreift …sollten Kinder die Möglichkeit bekommen, an diesen Emotionen entwicklungsgerecht teilzuhaben. Überlass es nicht dem Zufall, dein Kind an deinen islamischen Emotionen teilhaben zu lassen, sondern betrachte dies als Säule deiner Kindererziehung. Denn nur durch dein Vorbild lernt dein Kind, selbst islamische Emotionen zu erzeugen.
Islamische Emotionen im Alltag
“Ich bin heute sehr glücklich. Ich habe es endlich geschafft, Sure Maryam auswendig zu lernen!”
“Ich bin so traurig, dass ich heute Fajr verschlafen habe. Doch ich habe auch Hoffnung auf Allahs Vergebung.”
“Schau mal, dieser kleine Vogel auf dem Zaun. Wie wunderbar Allahs Schöpfung doch ist!”
“Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Muslime in Afghanistan nun der Besatzung befreit sind. Doch ich mache mir große Sorgen um sie, weil sie arm sind und leiden.”
“Schau, dies sind Götzen, Astaghfirullah. Die wurden damals von den Menschen angebetet. Audhubillah! Das ist schrecklich.”
“Lass uns heute etwas über den Propheten ﷺ lesen! Ich liebe ihn so und möchte mehr über ihn lernen!”
“Feel-Good-Islam” für Kinder?
Den Kindern einen “Feel-Good-Islam” zu vermitteln, der keine Verbote, keine negativen Emotionen und keine Schwierigkeiten kennt, ist für ihre Entwicklung überaus schädlich. Wichtige Eigenschaften wie Resilienz, und Frustrationstoleranz können Kinder nur entwickeln, wenn ihnen erlaubt wird Hindernisse, Enttäuschung, Trauer und Ablehnung zu erfahren und unter der elterlichen Anleitung daran zu wachsen. Es gibt Dinge, die Allah (swt) liebt und es gibt Dinge, die Allah (swt) verabscheut. Für Allah zu lieben und für Allah zu verabscheuen sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Abscheu vor dem Verbotenen, die als Kind anerzogen wurde, ist für den jungen Erwachsenen einer der wichtigsten Schutzmechanismen gegen das Begehen von Sünden. In diesem Zusammenhang gelten zwei Grundsätze:
“Die Abscheu gilt der Sünde, nicht dem Sünder.”
Wenn wir mit den Kids über ein sündhaftes Verhalten sprechen und unsere Abscheu dafür kundtun, geht damit einher, für den Sünder Ausreden zu suchen und für ihn um Vergebung zu bitten.
“Kindern wird nicht mit Jahannam oder Allahs Strafe gedroht.“
Kinder werden von Allah swt nicht bestraft. Ihr Handeln wird weder zu Sündhaftigkeit noch zu Jahannam in Bezug gesetzt. Stattdessen kann das Konzept der Schreiberengel (siehe Video im Feed) Konsequenzen vermitteln, ohne zu ängstigen.
Die Liebe zu den Eltern ist der Zement der islamischen Kindererziehung!
Eltern, die ihren Kindern im Rahmen der islamischen Kindererziehung Gefühle von Liebe, Vertrauen, Fürsorge, Empathie, Motivation, Aufmerksamkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht schenken…verbinden im kindlichen Weltbild all diese positiven Gefühle mit dem Islam. Als Eltern sind wir der erste Zugang unserer Kinder zum Deen Allahs und bleiben dies auch so lange, bis sie die Reife erreicht haben, einen eigenständigen Zugang zum Islam zu suchen. Je liebevoller das Verhältnis des Kindes zu den Eltern, desto liebevoller ist auch seine Vorstellung von Allah, Seinem Gesandten und dem Qur’an. Kinder vertrauen darauf, dass ihre Eltern Gutes für das Kind wollen und ihm nur das Untersagen, was schlecht für es ist. Somit vertrauen die Kinder darauf, dass die islamischen Gebote gut für sie sind und die islamischen Verbote vor Schlechtem schützen. Das gute Verhältnis zu den Eltern, erfüllt von der Barmherzigkeit, die der Gesandte Allahs ﷺ uns im Umgang mit Kindern aufgetragen hat, ist der beste Start für Kinder in ein gutes Verhältnis zum Islam.