Es ist unbestreitbar, dass Kinder die Moschee zur Zeit unseres geliebten Propheten Muhammad ﷺ besuchten. Wir alle kennen die wunderschönen Überlieferungen, die uns davon berichten. Davon, dass Al-Hassan, möge Allah mit ihm zufrieden sein, einst auf den Rücken seines Großvaters stieg und Rasulullah ﷺ so lang ihm Sujud bleib, bis sein Enkel das Spiel beendet hatte. Wir wissen, dass der Gesandte Allahs ﷺ das Gebet kurzhielt, wenn er das Weinen eines Kindes hörte. Wir wissen auch, dass unser geliebter Prophet ﷺ seine beiden Enkel auf den Schoß nahm, als die beiden durch die Moschee liefen und er die Khutbah hielt.
Zweifelsohne gehört es zu unseren islamischen Erziehungszielen, früh eine Bindung zwischen unseren Kleinen und Allahs Häusern zu knüpfen. Denn wir wünschen uns, dass sie einst unter Allahs Thron Schatten finden, weil ihre Herzen in diesem Leben an den Häusern Allahs hingen. Bei ihren Besuchen der Moschee erlernen unsere Kinder das Gebet, sie lauschen dem Quran, ihr Wissensdurst wird in den islamischen Sitzungen mit gutem Wissen gestillt. Unsere Kleinen finden sich in die Gemeinschaft der Gläubigen ein und sie lernen, dass der Islam nicht ohne Gemeinschaft sein kann. Sie lernen, dass die Moschee ein Ort des Gebets, des Quran, des Dhikr, des Wissens, des aufrichtigen, furchtlosen Wortes, der Gemeinschaft und ein Zentrum des Islam sein muss.
Gleichzeitig stehen wir Eltern in der Verantwortung, den Ausgleich zwischen der Erziehung unserer Kinder und den Interessen der Gemeinschaft sowie dem Sinn des Gottesdienstes zu schaffen.
Wir alle warten 11 Monate lang sehnsüchtig auf das Tarawih Gebet. Dieses gemeinschaftliche, nächtliche Gebet, in dem sich die Herzen und die Gedanken für den Quran, für die Gemeinschaft der Gläubigen und für das Flehen um Allahs Vergebung öffnen. Doch müssen wir die Balance wahren zwischen unserer Sehnsucht nach Teilnahme am Tarawih und dem Sinn des Tarawih. Wie sollen die Betenden aus dem Tarawih Demut, Kraft, Ruhe und Nähe zu ihrem Herrn schöpfen, wenn sie den Imam vor der lauten Geräuschkulisse herumtollender Kinder kaum verstehen?
Deshalb ist die Faustregel recht einfach: Wenn die Anwesenheit meines Kindes den Sinn des Tarawih wahrt und mein Kind keine nennenswerte Störung des Gebets verursacht, ist die Teilnahme meines Kindes eine wunderbare Praxis der islamischen Erziehung. Wenn ich jedoch absehen kann, dass mein Kind das Gebet durch Lautstärke oder Bewegung nachhaltig stört, dass mein Kind auch nach Ermahnung und Zurechtweisung keine Ruhe einkehren lässt, so gehört es zu meiner Verantwortung gegenüber dem Tarawih und den Gläubigen, mit meinem Kind zu Hause zu beten oder eine Kinderbetreuung für mein Gebet in der Moschee zu organisieren. Wenn die Anwesenheit meines Kindes den Sinn des Tarawih gefährdet, welchen Sinn hat es dann, mit meinem Kind zu Tarawih zugehen?
Häufig können unsere unterscheidungsfähigen Kinder (ab 7 Jahren gilt das Kind im Islam als generell unterscheidungsfähig und wird fortan als „Mumayyiz“ bezeichnet) die Ruhe des Tarawihgebets wahren und daran ohne nennenswerte Störung teilnehmen. Für unsere kleineren Kinder kommt es auf verschiedene Faktoren an: auf ihr ruhiges oder unruhiges Naturell, auf ihre normale Schlafenszeit und mögliche Übermüdung, auf die Fähigkeit des Kindes, sich im Gebet durch mitgebrachte Spielzeugen oder Bücher zu beschäftigen und auf die Fähigkeit der Eltern, das Kind an stille Beschäftigung zu gewöhnen. Dies müssen wir Eltern aufrichtig bewerten.
Wenn wir unsere Kinder zum Tarawih mitnehmen können, weil sich erprobt und erwiesen hat, dass sie das Gebet nicht beeinträchtigen, dann sollten wir weiterhin darauf achten, wo wir uns mit ihnen aufstellen. Die unterscheidungsfähigen Jungen stehen gemäß dem prophetischen Hadith in den hinteren Reihen der betenden Männer. Auch mit den Kleineren sollten wir Mütter und Väter uns gemeinsam in den hinteren Gebetsreihen unserer jeweiligen Gebetsgruppe aufstellen. Die Frauen mit Kleinkindern in den hinteren Reihen der Frauen und die Männer mit Kleinkindern in den hinteren Reihen der Männer. So entstehen keine Lücken und die Kleinen finden hinter den Betenden Platz für leichte Bewegung oder Spielzeug. Wir können uns mit unseren Kleinkindern an die äußeren Ränder der Betenden stellen, damit keine Lücken entstehen, wenn unsere Kleinen sich plötzlich vom Platz bewegen.
Wenn wir einschätzen können oder sich gezeigt hat, dass unsere Kinder noch keine hinreichende Ruhe während des Gebets wahren, ist dies kein Grund zur Trauer. Mütter und Väter können miteinander Tage ausmachen, an denen ein Elternteil mit den Kindern zu Hause bleibt, damit der andere Elternteil in der Gemeinschaft beten kann. Wie dies genau aussieht, hat mit der Realität der Eheleute und ihrer Familiendynamik zu tun und natürlich mit dem Alter der Kinder. Naturgemäß können Still- und Kleinstkinder nur für sehr kurze Zeiträume von ihren Müttern getrennt werden. Dies ist der natürliche Verlauf des Lebens unserer Kinder und es ist von unserem Iman, mit dieser Bestimmung Allahs zufrieden zu sein. Es ist auch von unserem islamischen Verständnis, zu erkennen und anzunehmen, dass unsere Kinder älter werden und wir bald wieder mehr Freiraum haben. Es ist von unserer islamischen Erziehung, die Säuglings- und Kleinkindphase zu nutzen und wertzuschätzen, damit sie eine Phase des Stillens, des Nährens, der liebevollen Fürsorge und der engen Beziehung zu unseren Kleinen ist. Diese Phase soll für uns Mamas keine Zeit des Unwillens und des Bedauerns sein, keine Zeit in der wir uns wünschen, dass die Kleinen so schnell wie möglich großwerden. Denn diese Phase kommt nicht zurück und sie ist der Grundbaustein der Persönlichkeiten unserer Kinder, sowie unserer Beziehung zu ihnen. Qiyam kann allein und in der Gemeinschaft vollzogen werden und das Gebet der Frau im Haus wird von Allah vermehrt belohnt. Darin steckt keine Benachteiligung der Frau, sondern eine Barmherzigkeit des Allerbarmers, Der um die Zerrissenheit der Mütter weiß. Es ist eine Erleichterung und eine Versicherung an uns Mütter, nicht traurig zu sein. Denn unsere Gebete zu Hause werden vielfach belohnt und unsere Mühen um Kinder und Familie gehen bei Allah nicht verloren. Liebe Mamas, fühlt euch in euren Häusern nicht eingeengt in den Phasen, in denen ihr weniger in der Gemeinschaft beten könnt. Allah macht eure Häuser durch eure Ergebung und euren Sabr zu einem Paradiesgarten, in sha Allah. Möge Allah den Ehemännern, die ihren Frauen die Teilnahme am Tarawih in diesen Lebensphasen ermöglichen, reichen Lohn zukommen lassen. Sie wissen um die Sehnsucht ihrer Frauen nach den Häusern Allahs und sie stärken damit die Aufforderung ihres Propheten ﷺ, den Frauen den Besuch der Moscheen nicht zu untersagen. Sie unterstützen ihre Frauen tatkräftig dabei, als Familie nach Gottergebenheit und nach Allahs Wohlgefallen zu streben.
Stillen, wickeln, in bestimmten Lebensphasen vermehrt zu Hause zu sein und zu beten, zum Tarawih zu gehen, für eine Mama auf das Kind aufzupassen, damit sie zur Moschee gehen kann…das alles sind mit der richtigen Absicht, mit der aufrichtigen Niyya, Gottesdienste, in sha Allah. Allah ﷻ hat uns Frauen so vielzählige Möglichkeiten der Ibada geschenkt, damit wir Allah in allen Lebensphasen und in allen Entwicklungsphasen unserer Kinder nah sind. Unser Schöpfer ist der Allumfassende, warum engen wir Muslime uns selbst oder gegenseitig ein? Warum wollen wir den Gottesdienst beschränken, während Allah ihn so vielfältig für uns Frauen gestaltet hat? Nichts in dieser Welt bleibt gleich, nur der Erhabene ist unveränderlich. Die Kinder werden älter und bald beten wir wieder häufiger in der Gemeinschaft, so Allah will.
Das Tarawih muss und soll im Ramadan nicht die einzige Möglichkeit für unsere Kinder sein, Zeit in den Häusern Allahs zu verbringen. Es ist an uns Erwachsenen, den Kindern im Ramadan Raum und Zeit in der Moschee einzuräumen. Beim gemeinschaftlichen Iftar, bei Bastelstunden, in denen hübsche Ramadanlaternen entstehen, bei Erzählstunden über Laylatul Qadr und die erste Offenbarung oder bei kurzen Vorträgen über den Fiqh des Fastens.
Die jährliche Auseinandersetzung um das Tarawihgebet zeigt, dass wir Muslime den Ausgleich zwischen der Gemeinschaft der Gläubigen und dem einzelnen Gläubigen noch nicht ganz beherrschen. Dass wir beeinflusst sind vom westlichen Individualismus, der das Interesse des Einzelnen ins Zentrum des Universums rückt. Das Verhältnis der Gemeinschaft der Gläubigen zum einzelnen Gläubigen ist viel ausgeglichener, denn es ist ein Verhältnis des Bewusstseins und der Barmherzigkeit. Des Bewusstseins, dass die Gemeinschaft vom Gläubigen lebt und dass der Gläubige nicht ohne Gemeinschaft sein kann. Ein Verhältnis der gegenseitigen Rücksichtnahme.
Es ist eine Frage des Bewusstseins und der gegenseitigen Barmherzigkeit, dass wir weder das Gemeinschaftsgebet unserer persönlichen Sehnsucht opfern, noch dass die Gemeinschaft überhaupt keinen Raum für Eltern und Kinder lässt. Es gibt Mütter, die ihren Kindern Fußbälle zum Tarawih mitgeben und die Kleinen dann naturgemäß hinter den Betenden schießen und brüllen. Es gibt Mütter, die ihren Kindern Fahrräder zum Tarawih mitbringen und das Beten im Hof der Moschee zwischen den herumfahrenden Kindern gefährlich wird. Es gibt ältere Schwestern, die sich im Tarawih schon über das Klicken der Legosteine aufregen, wenn ein Kind die Steine ganz ruhig zusammensetzt. All das habe ich schon erlebt und all das ist bedauerlich. Weil darin gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Rücksichtnahme fehlen.
Das Verhältnis von den Gläubigen und der Gemeinschaft ist ein existenzielles, keiner kann ohne den anderen sein. Nur mit Bewusstsein und Barmherzigkeit können der Gläubige und die Gemeinschaft im Ramadan gemeinsam wachsen und zusammenwachsen, in sha Allah.
Möge Allah ﷻ eure Gebete segnen und annehmen, ob allein oder in der Gemeinschaft, ob mit Kindern oder ohne.