„Die Mutter ist die Kerze, die ausbrennt, um für ihre Familie zu leuchten.“, lautet ein grausames arabisches Sprichwort. Über Mütter herrscht das böse Gerücht, dass sie nur in totaler Selbstaufgabe wirklich gute Mütter sein können. Je mehr sie opfern, je weniger sie ihre eigene Person sind, umso besser. Die Mutter löst sich, löst ihr eigenes Dasein in ihrer Beziehung zu ihrer Familie auf. Das soll es bedeuten, Mutter zu sein.
Einst sprach Salman Al-Farisi zu Abu Ad-Darda‘, möge Allah beiden sein Wohlgefallen gewähren: „Dein Herr hat Anrecht an dir und du selbst hast Anrecht an dir und deine Familie hat Anrecht an dir. So gewähre jedem Rechtsinhaber sein Recht.“ Als dies unserem geliebten Propheten (saw) zugetragen wurde, bestätige er Salmans weise Worte. (Sahih Al-Bukhari)
Wir sind die Ummah des Mittelweges, auf jeglicher Ebene: „Und so haben Wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht, damit ihr Zeugen über die Menschen seiet und damit der Gesandte über euch Zeuge sei.“ (Sure Al-Baqara, Vers 143)
Muslimische Elternschaft ist weder die totale Selbstaufgabe, noch ist sie Ausdruck eines egozentrischen Individualismus. Muslimische Elternschaft findet in der Mitte statt: zwischen unserem überzeugten Einsatz und unserer unbedingten Selbstachtung als Geschöpfe Allahs. Wir investieren mit Überzeugung und mit Bedacht in die Institution Familie, denn sie ist der Grundbaustein und die Stärke der Gemeinschaft der Muslime. Wir investieren mit Überzeugung und mit Bedacht in unsere geliebten Familienmitglieder, weil sie mit Allahs Erlaubnis und unter unserer Anleitung starke, rechtschaffene Muslime werden sollen, die dem Islam und den Muslimen nützlich sind. Muslimische Eltern schaffen diesen Ausgleich zwischen überzeugtem Einsatz und alltagsnahem Opfer. Ohne dabei je ihre Selbstachtung zu verlieren, oder sich gar voreinander oder vor den Kindern zu erniedrigen. Der Gläubige erniedrigt sich vor seinem Schöpfer, nicht aber vor der Schöpfung. Vor niemandem außer Allah (swt) ist es uns erlaubt, uns niederzuwerfen.
Nur wer sich selbst achtet, als Geschöpf Allahs und als eigenständige, verantwortungsvolle Person, erlangt die Achtung der anderen. Wer sich die Achtung seiner Kinder wünscht, muss sich an erster Stelle selbst achten. Es gibt einen gravierenden Unterschied dazwischen, mit Bedacht und Überzeugung in die Familie zu investieren, Kompromisse einzugehen und sich einzusetzen – und dazwischen, sich zu erniedrigen, sich zum Wunschautomaten und zum Spielball der eigenen Kinder zu machen. Die Bedürfnisse unserer Kinder sind kein Diktat.
Mütter und Väter erziehen ihre Kinder, sie dienen ihnen nicht. Im Arabischen heißen sie „Rabbul Bait“ und „Rabbatul Bait“, der Herr und die Herrin des Hauses. Muslimische Eltern haben einen Erziehungsplan, sie leiten an, führen ihre Kinder, zeigen ihnen den geraden Weg des Islam auf, zeigen ihnen ihre Grenzen auf und beharren unbedingt darauf, dass ihre Kinder sie achten und zu jedem Zeitpunkt mit Respekt behandeln. Mütter wie Väter gleichermaßen. Muslimische Mütter und Väter geben einander die Achtung und den Respekt, der ihre Kinder lehrt, sie zu achten und zu respektieren. Wer den anderen vor den Kindern abwertet oder erniedrigt, kann die Achtung seiner Kinder nicht erlangen.
Gleichzeitig kommen muslimische Eltern den Bitten und den vernünftigen Wünschen ihrer Kinder gern nach, vor allem dort, wo sie noch auf uns angewiesen sind. Lies dazu gern den Beitrag „Wenn dein Kind dich um etwas bittet.“ Doch die kindlichen Wünsche finden ihre vernünftigen Grenzen in unseren finanziellen, familiären und persönlichen Möglichkeiten. Das besprechen wir entwicklungsgerecht mit unseren Kindern, zeigen es ihnen auf und bieten gegebenenfalls Alternativen. Kinder, die in einer Atmosphäre der Zuwendung leben und denen geduldig erklärt wird, haben für ihre Eltern und deren Situation Verständnis und Nachsicht.
Muslimische Eltern geben ihre Beziehung zu Allah (swt) und auch ihre sozialen Bindungen nicht auf. Denn es gibt eine Vielzahl von Rechten an ihnen, unsere Kinder haben kein Monopol an uns. Vielmehr sind wir Eltern nach der Formel von Salman Al-Farisi um Ausgleich bemüht. Ganz praxisnah und alltäglich, je nach Lebenssituation und Lebensphase. Für allem für uns Mütter wird es Lebensphasen geben, in denen der häusliche Alltag mit unseren Kindern so intensiv ist, dass Unternehmungen außerhalb des Hauses und ohne Kinder stark zurücktreten. Doch bald werden sie wieder von Phasen abgelöst, in denen mehr für die entferntere Familie, die Gemeinschaft oder die Moschee getan werden kann.
Muslimische Mütter und Väter erlangen mit ihrem überzeugten, liebevollen Einsatz und mit ihrer Selbstachtung die Achtung der gesamten Familie. Doch manchmal lassen unsere Kinder in ihrer Achtung nach, wenn sie von ihren Gefühlen oder Bedürfnissen überkommen werden. Dann müssen wir ihre Achtung und ihren Respekt unbedingt zurückfordern:
„Ich höre dir gern zu, wenn du in normaler Lautstärke mit mir sprichst. Doch wenn du so schreist, höre ich dir nicht zu. Ich gebe dir jetzt 3 Minuten, dich zu beruhigen und dir zu überlegen, was du mir sagen möchtest. Danach darfst du mir mit ruhiger Stimme erklären, was dich gestört hat.“
In der muslimischen Familie wird nicht geduldet, dass Kinder mit erhobener Stimme zu ihren Eltern sprechen, wenngleich sie ihre Kritik immer kommunizieren dürfen – ruhig und respektvoll.
„Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur Ihm dienen und zu den Eltern gütig sein sollt. Wenn nun einer von ihnen oder beide bei dir ein hohes Alter erreichen, so sag nicht zu ihnen: ‚Uff!‘ und fahre sie nicht an, sondern sag zu ihnen ehrerbietige Worte.“ (Sure Al-Isra‘, Vers 23)
Liebt Eltern, zeigt deutliche Missbilligung, wenn eure Kinder in eurer Anwesenheit die Stimme erheben oder gar frech werden. Es gehört zu unseren Pflichten, unsere Kinder den richtigen Umgang mit uns zu lehren und ihre Achtung einzufordern – mit Ausdauer und Nachsicht dafür, dass sie noch lernen und trainieren.
Mütter und Väter, steht dafür über den Dingen. Wir begeben uns gern auf Augenhöhe, um unsere Kinder zu verstehen und ihnen zu erklären. Um uns in sie hineinzuversetzen und nachzuempfinden, was sie bewegt. Wir begeben uns aber nie ins Kopf-an-Kopf-Rennen mit unseren Kindern. Unsere elterliche Selbstachtung gebietet, dass wir mit Verständnis, Nachsicht und Weitblick über den Dingen stehen. Wer auf kindlicher Ebene mit seinen Kindern „streitet“ hat schon verloren, denn die Achtung unserer Kinder können wir so nicht gewinnen.
Liebe Mama, lieber Papa, muslimische Elternschaft ist keine Selbstaufgabe. Ganz im Gegenteil! Sie formt, schärft und reinigt unsere Charaktere. Sie ermöglicht uns, an unseren Kindern und mit unseren Kindern umzusetzen, was wir im Quran und in der Sunna lesen und lernen. Unsere Elternschaft macht uns besser und stärker, sie macht uns nicht schwächer, in sha Allah.
Toll ma sha Allah