„Hilfe, meine Familie verdirbt mein Kind!“

Unsere Mutter A’isha Bint Abi Bakr, möge Allah mit ihr und ihrem Vater zufrieden sein, berichtet, dass der Gesandte Allahs ﷺ sagte: „Die Verwandtschaft hängt an (Allahs) Thron und spricht: ‚Wer mich verbindet, den wird Allah verbinden und wer mich abschneidet, den wird Allah abschneiden.“ (Sahih Muslim)

Die Verwandtschaftsbande genießen bei Allah einen so hohen Stellenwert, dass sie von Seinem Thron herabhängen!

Allah ﷻ selbst spricht zu Seinen Dienern: „Ich bin der Allerbarmer (Ar-Rahman). Ich habe die Verwandtschaftsbande (Ar-Rahm) erschaffen und Ich habe ihr einen Namen aus Meinem Namen gegeben. Wer sie verbindet, den verbinde Ich und wer sie abschneidet, den schneide Ich ab.“ (Sunan Abi Dawud, At-Tirmidhi und Musnad Al-Imam Ahmad).

Die Verwandtschaftsbande haben ihren Namen aus einem der schönsten und wichtigsten Namen Allahs erhalten. Aus seiner Eigenschaft der Barmherzigkeit, um die wir Allah in jedem unserer Gebete anflehen.

Rasulullah ﷺ sprach: „Wer an Allah und den jüngsten Tag glaubt, der soll die Verbindung zu seiner Verwandtschaft halten.“ (Sahih Al-Bukhari)

Unser Prophet zeigt auf, dass die Pflege der Verwandtschaftsbande von unserem Iman an Allah und den jüngsten Tag ist.

Unser geliebter Prophet Muhammad ﷺ sprach: „Wen es erfreut, dass seine Versorgung ausgeweitet und sein Leben verlängert wird, der soll seine Verwandtschaftsbande verbinden.“ (Sahih Al-Bukhari)

Die Pflege der Verwandtschaftsbande wird nicht erst im Jenseits belohnt. Schon im Diesseits wird sie von Allah ﷻ mit großer Versorgung und langem Leben vergolten.

Die Verwandtschaftsbande abzuschneiden bedeutet, sich von Allah ﷻ und Seiner Barmherzigkeit abzuschneiden. Auch dann, wenn die Verwandtschaft uns die Erziehung unserer Kinder erschwert.

Die Herausforderung ist echt

Natürlich ist die Herausforderung echt und für manche Eltern extrem schwierig. Vor allem für jene Mütter und Väter, deren eigene Eltern und Verwandte den Islam weniger oder gar nicht praktizieren oder dem Islam gar feindselig gegenüberstehen. Manchmal kommt es zu Situationen und Auseinandersetzungen mit der Verwandtschaft, die echten Kummer und tiefen Schmerz bereiten. Als Mütter und Väter fühlen wir uns zerrissen zwischen den Pflichten, die eigenen Eltern gut zu behandeln, den Kontakt zur Verwandtschaft aufrechtzuerhalten und zwischen dem Ziel, unsere Kinder islamisch zu erziehen. Die Herausforderung ist echt und manchmal ist sie erdrückend.

Doch liebe Eltern, ihr befindet euch mit der Ablehnung eurer islamischen Lebensweise und Erziehung durch eure Familien in ehrbarer Gesellschaft. Denn auch unser geliebter Prophet Muhammad ﷺ hatte in seinem eigenen Onkel Abu Lahab einen seiner schärfsten Feinde. Vor dem Hintergrund der arabischen Stammesgesellschaft, in der Familienbande teilweise überlebenswichtig waren, erscheint Abu Lahabs offene Hetze gegen seinen Neffen umso schockierender.

Aazar, der Vater unseres Propheten Ibrahim, war ein Götzenhersteller. Gibt es einen größeren Kontrast als zwischen einem Vater, der Götzen herstellt, und einem Sohn, der die Menschheit unermüdlich zu Allahs Einheit aufruft?! Aazar trieb damit das schrecklichste aller Übel, die Götzendienerei voran – durch seine Hände, seine Arbeit und seinen Schweiß! Unser Prophet Ibrahim, Allahs Segen und Frieden auf ihm, rief seinen Vater unermüdlich zur Einheit Allahs auf. Trotz der abscheulichen Tat seines Vaters nannte er ihn dabei liebevoll „Abati – Väterchen“, als er zu ihm sprach:

„Und gedenke im Buch Ibrahims. Er war ein Wahrhaftiger und Prophet. Als er zu seinem Vater sagte: ‚Oh mein lieber Vater, warum dienst du dem, was nicht hört und nicht sieht und dir nichts nützt? Oh mein lieber Vater, gewiss, zu mir ist vom Wissen gekommen, was nicht zu dir gekommen ist. So folge mir, dann leite ich dich einen ebenen Weg.‘“ (Sure Maryam, Verse 42, 43)

Allahs Bestimmung ist unfehlbar

Unser Iman an Allah ﷻ und Seine unfehlbare Bestimmung ist das Fundament unserer islamischen Kindererziehung. Deshalb vergegenwärtigen wir uns in den Momenten der Erschwernis und des Kummers mit unseren Familien: „Allah hat diese Eltern und diese Verwandtschaft für mich ausgesucht. Allah will, dass dies die Großeltern, die Onkel und die Tanten, die Cousins und die Cousinen meiner Kinder sind. Allah hat die Verwandtschaftsbande an Seinen Thron gehängt und Allah hat mir verboten, sie zu brechen. Allah ist in Seiner Bestimmung unfehlbar und Seine Bestimmung ist von nichts als Weisheit erfüllt.“

Liebe Eltern, so sehr wir uns um unsere Kinder und ihre islamische Anleitung (Irshad) bemühen, so bleibt sie doch eine zwischenmenschliche Anleitung, die nicht zwingend zur Rechtleitung (Hidaya) unserer Kinder führt. Denn die Rechtleitung unserer Kinder ist keine mathematische Gleichung. Umgekehrt muss der negative Einfluss der eigenen Familie nicht zwingend zur Irreleitung des Kindes führen. Denn die Rechtleitung unserer Kinder kommt nur von Allah ﷻ. Er ist der Herr über Recht- und Irreleitung Seiner Diener.

Doch die Herausforderung bleibt echt, weil es gilt, zwei enorm schwerwiegende Verantwortungen zu balancieren: den Erhalt und die Pflege der Verwandtschaftsbande auf der einen und islamische Erziehung unserer Kinder auf der anderen Seite.

Keine Gemeinschaft ohne Familie

Wer den Kontakt und die liebevolle Beziehung zur eigenen Familie aufrechterhält, hat nicht nur Allahs Befehl erfüllt, sondern auch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beigetragen. Denn die Familie ist der wertvollste und wichtigste Grundbaustein der Gemeinschaft. Wer sich hingegen von individualistischen Pseudoweisheiten dazu verleiten lässt, den Kontakt zur Familie unter dem Vorwand der Kindererziehung abzubrechen, ist auf ganzer Linie zum Opfer geworden. Zum Opfer des Shaytan und der eigenen Gelüste. Zum Opfer des gottlosen Liberalismus, der den Menschen mit „Freiheit und Selbstverwirklichung“ lockt. In den letzten Jahren kommt noch das pseudopsychologische Mantra der „Selbstliebe“ hinzu.

Diese leeren Worthülsen sollen uns schnelle Lösungen für komplexe Herausforderungen verkaufen, weil heute alles schnell und einfach sein muss. Weil man uns aberzogen hat, Erschwernis und die Fehler unserer Familien auszuhalten. Weil wir verlernt haben, bei Allah ﷻ Kraft und Geduld zu finden.

Das Spiel von „Freiheit und Selbstverwirklichung“ treibt man so lange mit uns, bis wir sozialscheu werden, mit unseren Kindern vereinsamen und unter der Last des Alltags hilflos zusammenbrechen. So lange, bis die Gemeinschaft weder Zusammenhalt noch Familie kennt. Bis aus der Gemeinschaft eine traurige Schar von vereinsamten Individuen wird. Individuen, die ohne den Schutz und den Zusammenhalt der Familie das einfachste Opfer für den Kapitalismus sind.

Liebe Eltern, eure Standhaftigkeit im Umgang mit schwieriger Verwandtschaft ist euer Gottesdienst und euer Festhalten am Seil Allahs.  Es ist das Seil, das euch mit Allahs Thron und Seiner Barmherzigkeit verbindet. Eure Standfestigkeit ist euer Kampf gegen die Vereinsamung und die Erosion der Gemeinschaft. Eure Pflege der Verwandtschaftsbande zerschlägt die Götzen des Liberalismus und Individualismus.

Haltet die Waage

Unsere Kinder können nicht im sozialen Vakuum aufwachsen. Sie müssen lernen, Bindungen außerhalb der Kleinstfamilie zu knüpfen. Sie müssen in ihre Verwandtschaft hineinwachsen. Dies müssen wir zulassen und fördern. Nur so können sie lernen, verantwortungsbewusste und nützliche Mitglieder ihrer Gemeinschaft zu werden. Die Pflichten der guten Behandlung der Eltern und der Pflege der Verwandtschaftsbande lernen unsere Kinder nicht in der Theorie. Sie erlernen sie an unserem lebhaften Vorbild und durch unsere praktische Anleitung.

Kinder haben ein natürliches und intuitives Gefühl der Verbundenheit zu ihren Familien. Sie fühlen sich in der Wärme und Liebe ihrer Großeltern, ihrer Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen aufgefangen und wohl. Ihnen die Liebe, die Wärme und die Stärke der Familie vorzuenthalten, tut unseren Kindern keinen Gefallen. Es ist unsere elterliche Aufgabe, uns aufs äußerste zu Bemühen, unseren Kindern dieses familiäre Rückgrat zu erhalten, während wir mit Weisheit und Weitsicht auf ihre islamische Entwicklung Acht geben.

Die gute Behandlung unserer Verwandtschaft und die islamische Erziehung unserer Kinder können einander nicht ausschließen. Denn sie beide sind Gebote von Allah. Sie im Alltag zu balancieren ist unsere herausfordernde Aufgabe, die wir gemäß unserer ganz spezifischen und einzigartigen familiären Realität erfüllen. Jeder nach seinen Voraussetzungen und Möglichkeiten. Als Eltern gehen wir einen Balanceakt zwischen Nähe und Distanz zu Verwandten, die unseren Islam ablehnen. Wir müssen lernen, wann wir für unsere Verwandtschaft da sein müssen, wann wir uns um sie bemühen müssen und wann wir uns im Sinne unserer Kinder und ihrer Entwicklung zurückziehen dürfen.

Das häusliche System

Nicht selten überschätzen wir den Einfluss der Familie auf unsere Kinder. Denn die wenigsten von uns leben mit der Verwandtschaft in einem Haus. Vielmehr sieht man sich an den Wochenenden, manchmal auch nur monatlich – je nach Wohnort und räumlicher Distanz. Den größten und wichtigsten Einfluss auf unsere Kinder haben unangefochten wir Eltern. Wir kreieren das häusliche System, in dem unsere Kinder leben und heranwachsen. Wir bestimmen damit den Großteil der Einflüsse und Gewohnheiten, die ihre Persönlichkeitsbildung ausmachen. Die Erziehung unserer Kinder findet ganz schwerpunktmäßig in unseren vier Wänden, durch und mit uns statt.

Je besser unsere eigene Beziehung zu unseren Kindern ist, je mehr sie mit unserer Liebe und Wärme aufwachsen, desto nahtloser fügen sie sich in das häusliche System ein. Bitte lies dazu den Artikel „Der Zement der islamischen Kindererziehung.“ Je mehr wir unsere Kinder an unseren Überzeugungen, Überlegungen und Entscheidungen teilhaben lassen, desto mehr werden sie zu ihren eigenen Überzeugungen, Überlegungen und Entscheidungen. Bitte lies dazu die Artikel „Wer darf mitreden?“ und „Der islamische Familienbund“. Ein Haus voller Wärme, Liebe und guter Gefährtenschaft erfüllt unsere Kinder. So sehr, dass sie sich von Oma, Opa, Onkel und Tante gern lieben lassen. Jedoch ohne dass diese Verwandtschaftsliebe unser innerhäusliches System bedroht. Selbst wenn unsere Kinder unter dem Einfluss der Verwandtschaft gelegentlich der Versuchung erliegen, etwas zu tun, was nach unseren häuslichen Regeln verboten ist, so bildet dies die Ausnahme und ist regelmäßig nicht von Dauer. Vielmehr kehren sie unter unserer verständnisvollen Anleitung und ihn klärenden Gesprächen willig in das häusliche System zurück. Denn sie haben gelernt und verstanden, dass unser islamisches Familiensystem auf guten Begründungen, gegenseitiger Achtung und Liebe basiert.

Wir dürfen nicht vergessen, dass vor allem unsere Eltern ein Anrecht an ihren Enkelkindern haben. Selbstverständlich begleiten wir die Beziehung unserer Kinder zu ihren Großeltern aufmerksam und liebevoll. Diese Bindung zu kappen, verletzt jedoch das Recht der Großeltern an ihren Enkelkindern, das Recht der Enkelkinder an ihren Großeltern und wir tun uns mit diesem Verstoß gegen Allahs Gebote selbst Unrecht.

Das Bewusstsein für die Unterschiede

Vor allem neue Eltern werden mit der Geburt des ersten Kindes panisch: „Aber meine Mutter trägt doch gar kein Kopftuch! Wie soll ich das Baby zu ihr bringen? Meine Schwester betet nicht regelmäßig, wie soll sie mit meinem Baby Kontakt haben? Mein Vater interessiert sich wenig für den Islam…er wird schlechten Einfluss auf mein Kind nehmen!“

Selbstverständlich müssen wir den Zustand unserer Familien realistisch bewerten. Nur so können wir mit Weisheit und Weitsicht daran arbeiten, schädlichen Einfluss auf unsere Kinder einzugrenzen. Gleichzeitig haben unsere Familien unseren wohlwollenden Blick verdient, sowie unsere stete Hoffnung und unseren Du’a, dass der Erhabene sie rechtleitet. Insbesondere Kleinstkinder bekommen nichts davon mit, ob Oma den Hijab richtig trägt oder Opa seine Gebete regelmäßig verrichtet. Mag dies in der Waagschale des Jenseits auch noch so schwerwiegend sein. Unsere Säuglinge und Kleinkinder genießen einfach die Zuwendung ihrer Großeltern.

Das Bewusstsein unserer Kinder für die Unterschiede zwischen Mamas und Papas Lebensweise und der Lebensweise ihrer Familien beginnt erst mit etwa vier Jahren sich langsam auszubilden. Erst langsam fällt unseren Kindern auf, dass Oma beim Spaziergang weder Hijab noch Abaya trägt. Dass Opa nie den Quran aufschlägt. Dass die Tante stark geschminkt und in enger Hose das Haus verlässt. Dass im Fernsehen bei den Cousinen Dinge laufen, die zu Hause nicht erlaubt sind. Je älter unsere Kinder werden, desto deutlicher vernehmen sie die Unterschiede. Sie beginnen nachzufragen.

Wenn unsere Kinder anfangen, die Verwandtschaft mit ihrem Fehlverhalten zu konfrontieren, ist uns das meist sehr unangenehm. Dabei ist dies ein gutes Zeichen. Denn es zeigt, dass unsere Kinder unseren islamischen Handlungsmaßstab angenommen und verinnerlicht haben. Dass sie ihn auf sich und andere anwenden.

Die Konfrontation mit dem Kind

Nun müssen wir uns unbedingt und immer wieder die Zeit nehmen, das Fehlverhalten unserer Familien in den Kontext zu setzen und zu erläutern. Ohne unsere Familien bei den Kindern schlechtzureden und ohne das Fehlverhalten zu beschönigen. Denn die Gebote und Verbote Allahs stehen über den Befindlichkeiten der Verwandtschaft.

„Mama, Oma trägt keinen Hijab.“

„Du hast Recht, Oma trägt keinen Hijab, obwohl sie Muslima ist.“

„Vielleicht weiß sie nicht, dass sie den Hijab tragen muss.“

„Doch, das weiß sie. Ich habe oft mit ihr darüber gesprochen und sie daran erinnert, dass jede muslimische Frau den Hijab tragen muss. Oma hat sich dagegen entschieden. Das ist eine Sünde, denn das verstößt gegen Allahs Gebote. Jede muslimische Frau ist verpflichtet, den Hijab zu tragen, so wie Allah ihn vorgeschrieben hat, auch Oma.“

„Wird Allah Oma dafür bestrafen?“

„Ich bitte Allah, dass Er Oma ihre Sünde verzeiht. Doch den Hijab nicht zu tragen ist keine Kleinigkeit. Das ist eine schwerwiegende Sünde, für die Allah bestraft. Ich mache Du’a zu Allah, dass Er Oma und alle muslimischen Frauen zum Hijab rechtleitet. Bitte mach auch du Du’a. In sha Allah werden wir Oma durch unser schönstes Vorbild daran erinnern, dass wir Muslime Allahs Gebote erfüllen, damit Allah uns mit dem Paradies belohnt.“

Wenn unsere Kinder die Verwandtschaft mit ihrem Fehlverhalten konfrontieren, kann dies dazu führen, dass die Familie selbst ein paar Schritte zurückgeht. Dass sie versteht, dass die unterschiedlichen Lebenswege einen sehr engen Kontakt erschweren. Beharrt die Familie auf ihrem falschen Weg und geht nun etwas auf Distanz, kann dies für unsere Kindererziehung von Vorteil sein. Denn ohne den Kontakt zur Familie abzubrechen, wird ein höflicher Abstand vor der Lebensweise des anderen gewahrt.

In besonders schönen Fällen führt die Konfrontation unserer Kinder zum Umdenken bei der Familie. Es gibt zahlreiche Familien, in denen die unschuldige Konfrontation des Kindes Scham und Selbstreflexion angestoßen hat. So manche Großeltern und Verwandte haben dadurch ihren Weg zu Allah gefunden. Mögen eure Familien dazugehören.

Auch wenn es uns schmerzt, dürfen wir das Fehlverhalten unserer Familien im Gespräch mit unseren Kindern nicht beschönigen oder verwässern. Während wir immer respektvoll über unsere Verwandtschaft sprechen und für sie um Allahs Vergebung und Rechtleitung bitten, müssen wir Falsches ganz klar als falsch bezeichnen. Wir müssen diese Gespräche nutzen, um die Belege für die Verbote und Gebote Allahs in unseren Kindern zu verankern. Indem wir die entsprechenden Verse und Ahadith benennen und aufzeigen, welche Weisheiten hinter Allahs Anordnungen stehen. Wir dürfen das klare Islamverständnis unserer Kinder keinesfalls dem Fehlverhalten der Verwandtschaft opfern.

Setzt euch an den längeren Hebel

Wer defensiv auf die Schwierigkeiten mit der eigenen Familie wartet, setzt sich und die Kindererziehung größerem Schaden aus. Wer hingegen den Kontakt zur eigenen Familie in die Hand nimmt und selbst aktiv gestaltet, sitzt am längeren Hebel. Liebe Mamas und Papas, macht euch gemeinsam Gedanken darüber, wie ihr den Kontakt zu euren Familien ganz praktisch so gestalten könnt, dass er eure Kindererziehung weniger belastet und vielleicht sogar richtig schön wird. Folgende Impulse können euch dabei helfen:

Macht das Familientreffen zum Heimspiel. Wenn die Familie bei euch ist, bestimmt ihr den Ablauf und die Gestaltung. Ihr bestimmt, was auf den Tisch kommt, ob der Fernseher läuft und wenn ja, womit. Ihr sucht Aktivitäten aus, die eurer islamischen Erziehung entsprechen und der ganzen Familie Freude bereiten. Wer sein Haus der Familie öffnet, öffnet damit die Herzen der Familie. Wer ihnen Großzügigkeit und Gastfreundschaft erweist, nimmt ihnen den Widerwillen und den Wind aus den Segeln. Eure liebevolle Zuwendung erzeugt bei der Familie Respekt.

Plant zu den islamischen Festen Aktivitäten, die eure Familie einbinden. Überlasst dies nicht der Familie und dem Zufall. So habt ihr mehr Einfluss darauf, wie der Tag abläuft und dass er für alle zu einer Freude wird.

Plant auch sonst Aktivitäten mit der Familie, die eurer Kindererziehung förderlich sind. Seid dabei wohlwollend und nicht kleinlich. Ein schöner gemeinsamer Tag, bei dem ihr ein oder zwei provokative Kommentare überhört, ist besser als die Eskalation des Familientreffens. Die Pflege der Verwandtschaftsbande ist ein Gottesdienst und das Paradies ist von Erschwernis umgeben.

Vielleicht ist es besser, manche Verwandte separat zu treffen, weil sie in der Gruppe das Ruder übernehmen und eine ungewollte Stimmung erzeugen?

Wenn es doch mal zu einer Diskussion kommt, seid standfest, doch bleibt höflich. Zeigt Respekt und wahrt den freundlichen Umgang. Wer seine Mutter oder seinen Vater einfach umarmt, während diese über die islamische Lebensweise diskutieren wollen, erstickt ihre Wut und Aufregung im Keim.

Vertraut darauf, dass Widerwillen sich langsam auswäscht. Wenn ihr standfest in euren Standpunkten, eurer Lebensweise und eurer Kindererziehung seid, bleibt der Familie nichts übrig, als sich zu fügen. Was anfänglich zu großer Empörung führt, wird mit der Zeit immer normaler. Er stoßen sie sich an euren Entscheidungen und schreien dabei laut auf. Später nehmen sie eure Entscheidungen hin und haben sich daran gewöhnt. Denn auch eure Familien wollen euch nicht verlieren und lieben euch.

Gebt der Sache Zeit, habt einen langen Atem. Denn Allah ﷻ hat die Zeit mit Seiner Bestimmung erfüllt und Allah plant viel besser als wir. Mit der Zeit und der Übung lernt ihr, wie ihr eure Verpflichtungen gegenüber der Familie mit eurer islamischen Kindererziehung jongliert. Was erst sehr mühsam war, geht euch mit der Zeit immer leichter von der Hand. Nicht umsonst gehören Sabr (Standfestigkeit) und Ihtisab (das Erwarten und Erhoffen der jenseitigen Belohnung) zu den wichtigsten Eigenschaften des Gläubigen.

Die Kunst liegt darin, den Kontakt zur Familie zu systematisieren, statt ihn zu brechen. Viele muslimische Familien entscheiden sich heute für eine Auswanderung aus den westlichen Ländern in die Länder der Muslime, um sich und den Kindern die islamische Lebensweise zu erleichtern. Insbesondere gut geplante und bewusste Auswanderungen werden den Kindern und ihrer islamischen Entwicklung richtig guttun, in sha Allah. Bitte macht die Auswanderung aber nicht zum Bruch mit eurer Familie. Arbeitet unbedingt daran, bei der Familie Verständnis für eure Entscheidung zu erzeugen, den Kontakt zu halten und vor allem die Großeltern regelmäßig zu besuchen oder sie zu Besuchen am neuen Wohnort einzuladen.

Diplomatie und Ausgleich

Oma lässt das Kind länger vorm Fernseher sitzen, als gewollt? Opa steckt dem Kind dauernd Schokolade und Bonbons zu? Für Oma und Opa ist das eine Form ihre Enkel zu lieben, denn Fernsehen und Süßigkeiten bereiten den Kleinen sichtlich Freude. Als Eltern bereiten uns der Überfluss an Fernsehen und Süßem Bauchschmerzen, keine Frage. Doch dies sollte kein Anlass sein, mit Oma oder Opa in die aggressive Konfrontation zu gehen oder sogar vor den Kindern mit ihnen zu streiten. Die gute Behandlung unserer Eltern ist ein Gottesdienst, nicht einmal „Uff!“ dürfen wir zu ihnen sagen. Hier sind vielmehr unsere diplomatischen und unsere ausgleichenden Fähigkeiten gefragt.

Wenn der Besuch bei Oma und Opa am Samstag ansteht, kann ich darauf achten, die Bildschirmzeit meines Kindes bereits ab Mittwoch schrittweise zu begrenzen und am Freitag, sowie Sonntag komplett einzustellen. Süßigkeiten gibt es in den Tagen vor und nach dem Besuch bei Oma und Opa am besten nicht.

Ich kann Oma anrufen: „Mama, ich backe heute einen leckeren Karottenkuchen. Kannst du uns einen Tee dazu machen und noch ein bisschen Obst schneiden? Dann machen wir es uns so richtig gemütlich!“ Warum darauf warten, dass Oma den Tisch mit abgepackten Süßigkeiten deckt? Die Eigeninitiative erspart unseren Kindern Zucker und die Diplomatie erspart uns und Oma Herzschmerz.

Wenn das Kind beim Zahnarzt eine Füllung bekommen musste oder nach dem letzten Besuch Bauchweh hatte, dann erzählt Oma und Opa davon. Nicht als Vorwurf! Sondern als subtile Botschaft: „Weißt du Papa, der Kleine musste eine Füllung bekommen. Er hat beim Zahnarzt sehr geweint. Ich werde in der nächsten Zeit darauf achten, dass er weniger Süßigkeiten isst, damit er da nicht nochmal eine Füllung bekommen muss.“

Uns Eltern werden alt und vielleicht haben sie nicht mehr viele Jahre mit unseren Kindern. Erlaubt den Kindern und den Großeltern einander zu genießen. Erlaubt euren Kindern, von euch die schönste Behandlung, Nachsicht und Zuwendung für die Eltern zu lernen. Habt dabei eure islamische Erziehung immer im Blick und eure diplomatischen und ausgleichenden Fähigkeiten unterm Arm.

Möge Allah euch die Herausforderung mit euren Familien erleichtern und euch für den Kontakt und ihre liebevolle Behandlung reichlich belohnen. Denn dies ist wahrlich einer der schönsten und schwierigsten Gottesdienste zugleich.