Alle sagen “Ayb”

In so ziemlich jeder muslimischen Kultur gibt es eine Version von “Ayb”. Bei den Türken heißt es “Ayıp”, bei den Marokkanern “Hshuma” und in den verschiedenen arabischen Kulturen gibt es den Begriff als “Ayb” oder “Eeb”. Gemeint ist ein unsittliches, beschämendes, ungehöriges oder anstößiges Verhalten. Etwas, das man nicht tun soll, weil es sich nicht gehört. So verschieden wie die Begriffe sind eben auch die Verständnisse, die dahinterstehen. “Ayb” ist ein ziemlich unklarer Begriff, der sich dehnen und füllen lässt und der – genau wie der Moralbegriff in den westlichen Kulturen – stetem Wandel unterliegt.

Der Mensch braucht Klarheit

Als Muslime haben wir einen festen Maßstab für unser Handeln. Dies sind die Vorgaben aus dem Quran und das Vorbild unseres Propheten Muhammad ﷺ. In manchen Angelegenheiten gibt es Unterschiede, je nach Rechtsschule und Gelehrten. Dieser Ikhtilaf ist eine Barmherzigkeit von Allah, denn die Menschen sind in Verständnis und Neigung nicht immer gleich. Der Islam bietet Raum für alle Menschen. Gleichzeitig bietet er klare Grenzen. Als Geschöpfe und Diener Allahs sind wir überzeugt, dass wir Seine Anleitung in diesem Leben brauchen. Damit wir weder uns selbst noch anderen Unrecht zufügen. Niemand anderer als der Schöpfer und Herr der Menschen hat das Anrecht und die Fähigkeit, der Menschheit diese Anleitung zu geben.

Kinder brauchen Klarheit

Kinder brauchen in der Erziehung Klarheit. Sie stehen am Anfang des Lebens und sind auf unsere elterliche Anleitung angewiesen. Sie brauchen den verständlichen und nachvollziehbaren Maßstab des Quran und der Sunna, was richtig und was falsch ist, was sie tun dürfen und was nicht. Diesen Maßstab vermitteln wir. Entwicklungsgerecht, sowie möglichst klar und konsequent. Das Konzept von “Ayb” verträgt sich mit diesem Grundsatz nicht. Denn “Ayb” ist schwammig, verändert sich fortlaufend, hat oft keine überzeugende Erklärung und widerspricht manchmal sogar den islamischen Vorgaben.

Sind Sünden “Ayb”?

Viele Dinge, die als “Ayb” bezeichnet werden, sind im Islam tatsächlich verboten. Oft geht “Ayb” irgendwie auf den islamischen Maßstab zurück. Das führen unehelicher Beziehungen zB gilt in allen muslimischen Kulturen als unsittlich und beschämend. In diesen Fällen ist “Ayb” vollkommen unnötig und verwirrend. Das betreffende Verhalten ist verboten, weil Allah es untersagt hat. Es ist nicht nur beschämend, weil es bei den Menschen verpönt ist, sondern eine Sünde, die Allah erzürnt. Wenn Verbotenes als “Ayb” bezeichnet wird, entsteht im kindlichen Verstehen eine Entfernung zum islamischen Handlungsmaßstab. Der Fokus wird auf die gesellschaftliche Ablehnung gelegt statt auf Allah.

Wer definiert, was Ayb ist?

Enge, entblößende Kleidung war in vielen muslimischen Ländern vor ein paar Jahrzehnten noch “Ayb”. Dass Gruppen von jungen Männern und Frauen zusammen in Cafés sitzen, zusammen rauchen und lachen, war auch mal “Ayb”. Auch das ist in vielen muslimischen Gesellschaften inzwischen normal. Die Einladung zu einer gemischten Hochzeit abzulehnen, bei der Männer und Frauen wild durcheinander tanzen, gilt heute ebenfalls vielen Muslimen als “Ayb”. Die Grenzen des “Ayb” werden fortlaufend aufgeweicht und verändert, weil es keinen festen Maßstab gibt. Das allgemeine Empfinden definiert, was “Ayb” ist. “Ayb” ist für die Menschen, nicht unbedingt für Allah.

Brauchen wir “Ayb”?

Meistens benutzen Eltern Begriffe wie “Ayb”, wenn es um den Schambereich und die Blöße, oder um Regeln des allgemeinen Anstands geht: “Ayb! Zieh schnell deine Kleidung an! 

“Hast du die Tante noch nicht begrüßt? Eeb!”

“Hshuma, so eng ist deine Bluse.”

Statt “Ayb, zeig deinem Bruder nicht deinen Po.”, sag: “Bitte bedeck deine ‘Aura!”

Statt “Hast du die Tante noch nicht begrüßt? Eeb!”, sag: “Der Prophet ﷺ lehrt uns, dass die Jungen die Alten begrüßen.”

Statt “Hshuma, so eng ist dein Kleid.”, sag: “Dein Kleid entspricht nicht dem Hijab. Bitte zieh was anderes an.”

Statt “Hast du der Nachbarin keinen Kaffee angeboten? Ayb!”, sag: “Unser Prophet hat uns befohlen, mit Gästen großzügig zu sein!”

Statt “Eeb, sie war mit einem Freund im Park spazieren.”, sag: “Mann und Frau gehen nur dann zusammen spazieren, wenn sie verwandt oder verheiratet sind.”

Fazit

In der Kindererziehung ist es besonders wichtig, von Anfang an Allah swt und Seinen Gesandten ﷺ als Referenzpunkt zu etablieren. Die islamischen Vorgaben sind der Handlungsmaßstab, den wir unseren Kindern vermitteln. Dies bedeutet nicht, dass wir unsere Kinder lehren, die Gefühle der Muslime oder den Anstand zu missachten, ganz im Gegenteil. 

Der Gesandte Allahs ﷺ sagte: “Ich wurde entsandt, um den vorzüglichen Charakter zu vervollkommnen.” (Muwatta’ Al-Imam Malik)

Basierend auf diesem Hadith streben wir mit unseren Kids den schönsten Charakter an. Auch vermitteln wir ihnen Liebe für ihre Ummah und die Gefühle ihrer Glaubensgeschwister zu achten. Ihr Handlungsmaßstab bleibt jedoch das höchste und ehrenwerteste Motiv, das ein Mensch haben kann: das Wohlgefallen Allahs!

In keinem dieser Fälle ist “Ayb” notwendig. Es gibt eigentlich immer eine klare, islamisch begründete Alternative, um aufzuzeigen, dass ein Verhalten falsch ist. Die Konzepte der ‘Aura (Schambereich), des Sitr (Bedeckung) und der Akhlaq (Tugenden) eigenen sich wunderbar, um genau diese Situationen mit den Kindern aufzulösen.