Eigentlich ist es einleuchtend, dass man etwas Falsches als falsch bezeichnet. In der westlichen Philosophie haben sich allerdings Vorstellungen durchgesetzt, die dazu führen, dass viele Menschen etwas nur ungern als falsch bezeichnen und es vor allem nicht mögen, wenn ihr eigenes Verhalten als falsch bewertet wird.

Relativer Wahrheitsbegriff: Also die Vorstellung, dass es keine Wahrheit gibt und wenn es sie geben sollte, man sie nicht erkennen kann. Wenn man nicht wissen kann, was richtig ist, kann man eben auch nicht behaupten, dass etwas falsch ist (so die Theorie). Daraus entstehen dann so paradoxe Sätze wie “Das ist meine Wahrheit!”

Individualismus: Also die Vorstellung, dass der Einzelne mit seinen Freiheiten im Vordergrund steht. Wenn es nur darum geht, sich selbst und seine individuellen Gelüste zu verwirklichen…wer mag dann noch hören, dass sein Verhalten falsch ist? Deshalb haben selbst muslimische Eltern inzwischen Hemmungen ihrem Kind zu sagen: “Das ist falsch!”

Der Mensch ist Geschöpf und braucht Anleitung von seinem Schöpfer in den Fragen des Daseins und auch des Alltags. Der Mensch braucht einen Kompass für richtig und falsch. Im Islam herrscht ein klarer Wahrheitsbegriff: Die Existenz Allahs, die Gesandtschaft Muhammads ﷺ‏, Auferstehung und Jenseits…all dies und weiteres ist wahr. Die Pflicht zum täglichen Gebet, das Fasten im Ramadan, das Verbot von Zins und Alkohol…all dies ist richtig und das Gegenteil ist falsch. In wiederum anderen Belangen besteht Spielraum, der von den Urteilen der Rechts-gelehrten gefüllt wird. Jedoch kann man sagen: Der Muslim hat einen klaren Kompass für seine Überzeugungen und sein Handeln. Kinder benötigen den klaren Kompass von richtig und falsch mehr als alle anderen. Denn sie sind in der Phase des Persönlichkeitsaufbaus und ihr Verstand ist noch unreif. Ohne diese Klarheit und die dadurch entstehende Sicherheit, kann keine starke, konsequente Persönlichkeit entstehen.

“Sie glauben an Allah und den Jüngsten Tag und gebieten das Rechte und verbieten das Verwerfliche und beeilen sich mit den guten Dingen. Jene gehören zu den Rechtschaffenen.” (Sure Ali-Imran, Vers 114)

Immer wieder taucht im Qur’an dieser Zweiklang auf: das Gute gebieten und das Falsche untersagen. Im Islam sind dies zwei Seiten derselben Medaille. Wer seinem Kind Richtiges vermitteln möchte, muss gleichzeitig Falsches klar benennen und aufzeigen. Kinder, die Falsches nicht klar aufgezeigt bekommen, haben es natürlich schwerer, richtig von falsch zu unterscheiden. Sie sind eher geneigt, inkonsequente Persönlichkeiten zu entwickeln und gegenüber dem Falschen keine Abscheu zu empfinden. Das Richtige kann nur dann klar werden, wenn auch das Falsche klar ist und durch die Eltern offen benannt wird.

Wenn mein Kind etwas Falsches sagt oder tut, reagiere ich mit:

Klarheit – Begründung – Barmherzigkeit – Anleitung

Klarheit: Falsches wird klar als falsch benannt. “Es war falsch von dir, mich anzulügen. Es ist falsch, deine Schwester zu schlagen.”

Begründung: In der islamischen Kindererziehung ist die Offenbarung Maßstab von richtig und falsch. Sie liefert deshalb die Begründung. Hier ist es wichtig, für das Kind einen Bezug zur Offenbarung herzustellen: “Es war falsch von dir, mich anzulügen. Denn unser Prophet Muhammad ﷺ‏ sagte: ‘Euch ist aufgetragen, die Wahrheit zu sagen! Es ist falsch, deine Schwester zu schlagen. Denn unser Prophet Muhammad ﷺ‏ sagte: ‘Es ist nicht von uns, wer nicht mit unseren Kleinen barmherzig ist!'”

Barmherzigkeit: Kinder haben Anrecht auf unsere Barmherzigkeit. Auch wenn kindliche Fehler nerven können…sie sind wichtiger Teil der Entwicklung und des Prozesses der Erziehung. Wichtig ist, dass nur das kindliche Verhalten als falsch bezeichnet wird! Die Würde und das positive Selbstbild des Kindes sind unbedingt zu erhalten. Die kindliche Person wird keinesfalls zum Falschen in Bezug gesetzt. Also keine Sätze wie: “Du machst eh alles falsch! An dir ist eh nichts richtig!” Nicht jede Kleinigkeit darf von den Eltern zu einem großen Fehler aufgeblasen werden. Habt einen wohlwollenden Blick auf eure Kinder. Schaut über Kleinigkeiten großzügig hinweg. Denn pausenlose Kritik wirft das Kind in Selbstzweifel und mangelndes Selbstbewusstsein. Spart euch dies für nennenswerte Fehler.

Lob dein Kind regelmäßig für richtiges Verhalten. Das Kind weiß: Meine Eltern lieben mich und sehen, dass ich Gutes tue! So kann es Kritik locker wegstecken. Korrigiere dein Kind nicht vor Fremden. Dies wird dein Kind als Bloßstellung empfinden und im Islam werden die Fehler des anderen nicht offengelegt. Nachträglich wird nicht mehr auf dem Fehler des Kindes herumgehackt. Mit deiner Korrektur des Fehlverhaltens ist es abgeschlossen. Nimm dein Kind anschließend in den Arm, drücke es, streichen es. Dein Kind muss sich vergewissern, dass trotz des Fehlers alles ok ist.

Anleitung: Sag deinem Kind ganz konkret und praktisch, wie es richtig geht! “Wenn du etwas haben möchtest, brauchst du mich nicht anlügen. Sag mir was du möchtest und wir überlegen gemeinsam, wie wir es umsetzen können. Wenn deine Schwester dir dein Spiel wegnimmt, kannst du ihr eine Alternative von deinen Spielsachen anbieten. Wenn das nicht funktioniert, kannst du mich um Hilfe bitten.”

Klarheit – Begründung – Barmherzigkeit – Anleitung!

Gegenseitiges Korrigieren ist im Islam ein Gottesdienst. Motivier dein Kind, auch deine Fehler zu korrigieren! Lobe es und bedanke dich, wenn es dich auf einen Fehler hinweist. Diese gegenseitige Transparenz bestärkt die Kritikfähigkeit und Selbstreflexion deines Kindes. Beides sind unglaublich wichtige Eigenschaften für jede Persönlichkeit! Wiederholt immer wieder folgenden Hadith in den Situationen, in denen ein Kind auf seinen Fehler hingewiesen wird.

Der Gesandte Allahs ﷺ‏ sagte: “Jeder Sohn Adams macht Fehler. Der beste von denen, die Fehler machen, ist jener, der bereut.” (Sunan At-Trimidhi und Musnad Imam Ahmad)