Einst saß Mu’adh Bin Jabal, möge Allah mit ihm zufrieden sein, hinter Rasulullah (saw) auf dessen Reittier. Da sagte der Gesandte Allahs: „Oh Mu’adh Bin Jabal!“ Mu‘adh antwortete: „Labbaika wa sa’daika ya Rasulallah – Ich bin dir zu Befehl und mit Freude zu Diensten, oh Gesandter Allahs!“ Der Gesandte Allahs (saw) wiederholte: „Oh Mu’adh Bin Jabal!“ Auch Mu‘adh wiederholte: „Ich bin dir zu Befehl und mit Freude zu Diensten, oh Gesandter Allahs!“ Dieser Austausch wiederholte sich ein drittes Mal, bis Rasulullah (saw) sagte: „Es gibt keinen Diener, der mit Aufrichtigkeit aus dem Herzen bezeugt, dass es keine Gottheit außer Allah gibt und dass Muhammad Sein Gesandter ist, außer dass Allah ihn dem Feuer verbietet.“ Da sagte Mu’adh: „Oh Gesandter Allahs, soll ich es nicht den Leuten berichten, damit sie darin frohe Botschaft finden?“ Da entgegnete Rasulullah (saw): „Dann werden sie sich darauf ausruhen.“ Mu’adh Bin Jabal, möge Allah mit ihm zufrieden sein, berichtete von dieser Aussage des Gesandten Allahs (saw) erst vor seinem Tod – aus Angst, er mache sich sündhaft, sollte er den Hadith mit ins Grab nehmen. Die Begebenheit ist bei Bukhari und Muslim überliefert.

Als Eltern ist es unsere Aufgabe, die Lehren des Islam und seine Vorgaben tief und fest in unseren Kindern zu verankern. Durch unser Vorleben, in Gesprächen, durch ein Umfeld, das die Lehren und Werte des Islam bekräftigt und dadurch, dass wir den Islam und seine Lehren mit einer Atmosphäre der Erhabenheit, der Ehre und der gebührenden Verherrlichung umgeben. Unsere Kinder brauchen später, als Erwachsene, einen Geist der gut begründeten Liebe und gut begründeten Furcht, denn nur beide Flügel zusammen können sie über die Herausforderungen ihrer Zeit hinwegtragen. Als Eltern nutzen wir dankbar die Erleichterungen und Ausnahmen, die Allah (swt) unseren Kindern geschenkt hat. Wir nutzen sie, um unseren Kindern ihr lebenslanges Streben nach Allahs Wohlgefallen zu erleichtern. Wir nutzen sie nicht, um Faulheit und Gleichgültigkeit zu erzeugen.

In unserem erzieherischen Alltag gibt es Situationen, in denen wir mit unseren Kindern vor verzwickten Situationen stehen. Situationen, in denen wir gegen die Vorgaben des Islam zu verstoßen drohen, denn schlussendlich sind wir die fehlbaren Söhne und Töchter Adams. In solchen Situationen stellen wir Eltern uns die Frage: „Was sage ich meinem Kind? Erzähle ich, dass wir es falsch gemacht haben? Wie erkläre ich es? Oder soll ich es besser verschweigen?“

Tatsächlich gibt es Situationen, in denen wir Eltern den Anschein wahren müssen. Nicht aus Verlogenheit oder Unaufrichtigkeit, möge Allah uns vor solchen Eigenschaften schützen. Sondern um die Erhabenheit und die Unantastbarkeit des Islam im Begreifen und in den Herzen unserer Kinder zu bewahren. Um keine Hemmschwellen herabzusetzen und Verstöße gegen Allahs Vorgaben nicht zu normalisieren. Um Faulheit und Gleichgültigkeit vorzubeugen.

In vielen westlich gelegenen Ländern tritt das Isha-Gebet im Sommer sehr spät ein, manchmal erst gegen Mitternacht. Auch das Fajr-Gebet tritt sehr früh ein. Unsere Kinder beginnen mit 7 Jahren all ihre Gebete zu verrichten, müssen aber am nächsten Tag früh zur Schule aufstehen. Unsere Kinder sind vor der Geschlechtsreife noch nicht vor Allah (swt) verantwortlich, sie sind keine Mukallafun, und sie befinden sich noch in der Trainingsphase fürs Gebet. Ab 10 Jahren sollten unsere Kinder dann alle Bedingungen und Abläufe des Gebets erlernt haben und erfüllen, auch die Gebetszeiten. Doch in den 3 Jahren davor kann es Sinn machen, die Kleinen das Isha-Gebet einige Zeit vor seinem eigentlichen Anbruch verrichten zu lassen und sie bereits ins Bett zu schicken, während die Eltern selbstverständlich auf den Anbruch des Gebets warten. Es kann auch Sinn machen, Kinder unter 10 Jahren das Fajr-Gebet direkt nach dem Aufstehen beten zu lassen, damit sie hinreichend Schlaf bekommen. In der Phase zwischen 7 und 10 Jahren besitzen Eltern Spielraum. Doch sollen wir Eltern unseren Kindern von diesen Erleichterungen erzählen, obwohl sie einen „erlaubten Regelbruch“ darstellen? Macht es möglicherweise Sinn, die Kinder vor dem Schlafengehen zum Isha-Gebet aufzufordern und nach dem Aufstehen zum Fajr-Gebet, ohne auszuführen, dass sie außerhalb der eigentlichen Gebetszeit beten?

In jedem Fall sind wir Eltern ehrlich mit unseren Kindern. Wir lügen sie nicht an, denn die Unaufrichtigkeit ist eine Eigenschaft der Heuchler – möge Allah uns davor bewahren. Wer seine Kinder belügt verdirbt ihre Wahrheitsliebe. Doch nicht jede erlaubte Regelumgehung müssen wir unseren Kindern nennen und ausführen, wenn sie nicht danach fragen. Manchmal kann es besser sein, die Kinder einfach zum Gebet aufzufordern und so die Bedeutung des Gebets im kindlichen Denken zu erhalten und zu stärken. Sollten unsere Kinder jedoch bemerken, dass sie außerhalb der eigentlichen Gebetszeit beten und nachfragen, dann können wir wahrheitsgemäß antworten: „Allah (swt) liebt die muslimischen Kinder sehr. Er ist barmherzig mit ihnen. Deshalb schenkt Allah (swt) den Kindern einige Erleichterungen. Du betest das Fajr Gebet direkt nach dem Aufstehen. Sobald das Fajr Gebet wieder etwas später anbricht, spätestens aber wenn du 10 Jahre alt bist, wecken wir dich pünktlich zum Anbruch des Gebets, in sha Allah. Möge Allah (swt) all deine Gebete annehmen, mein Schatz.“

Unsere Kinder üben auch das Fasten im Ramadan, obwohl sie islamrechtlich noch nicht zum Fasten verpflichtet sind. Darin folgen wir dem Vorbild der Sahaba und Sahabiyat, die ihre Kinder fasten ließen (lies dazu unseren Beitrag „Muss mein Kind im Ramadan fasten?“). Damit ihnen das Fasten leichter fällt, sollten unsere Kinder unbedingt den Sahur einnehmen. Doch wie verhalten wir uns, wenn wir mal verschlafen haben und unsere Kinder zum Sahur nichts essen konnten? Lassen wir sie dann ohne Sahur fasten? Oder lassen wir sie mangels Sahur gar nicht fasten? Macht es Sinn, unseren kleineren Kindern einen verspäteten Sahur zu erlauben, damit sie trotzdem den Tag oder einen Teil des Tages fasten können? Der verspätete Sahur unserer Kinder ist formal gesehen ein „erlaubter Regelbruch“, doch wir müssen ihn nicht unbedingt als solchen bekannt machen. Da sich das Zeitgefühl unserer Kinder noch entwickelt, kann es sein, dass sie ihren verspäteten Sahur fraglos einnehmen. Sollten sie jedoch fragen, antworten wir wieder wahrheitsgemäß: „Allah (swt) liebt euch Kinder sehr und ist sehr barmherzig mit euch. Wir haben heute leider den Sahur verschlafen. Damit du trotzdem „fasten“ kannst, darfst du einen verspäteten Sahur einnehmen und fängst danach an zu „fasten“. Ich kann keinen verspäteten Sahur einnehmen, doch Allah gibt mir in sha Allah die Kraft für den heutigen Tag.“ Formal gesehen gibt es kein Fasten, wenn zwischen Anbruch der Morgendämmerung und Beginn des Sonnenuntergangs bewusst gegessen wurde. Doch genauso, wie wir unsere Kinder das Fasten etappenweise üben lassen, kann es der Bedeutung des Ramadan und seiner Erhabenheit in den Herzen unserer Kinder eher gerecht werden, sie mit einem verspäteten Sahur „fasten“ zu lassen.

Andererseits müssen unsere Kinder lernen, wie sie sich verhalten, wenn beispielsweise ein Gebet verpasst wurde. Sie müssen die Regeln der nachgeholten Gebete erlernen und auch dazu sollten wir entsprechende Situationen nutzen.

Die obigen Überlegungen sollen euch Eltern anregen, Wege zu finden, die islamrechtlichen Erleichterungen für Kinder im Sinne der islamischen Kindererziehung und ihrer Ziele zu nutzen. Ihr kennt eure Realität und wisst, wie ihr sie für und nicht gegen die islamische Entwicklung eurer Kinder nutzt. Denn wir bereiten unsere Kinder stufenweise auf ihre Verantwortlichkeit vor Allah (swt) vor. Dazu gehört es, die Bedeutung der islamischen Gebote und ihre Erhabenheit zu bewahren und zu fördern. Wir nutzen dankbar die Erleichterungen, die Allah (swt) unseren Kindern geschenkt hat. Jedoch ohne dadurch Nachlässigkeit mit den Geboten Allahs oder Gleichgültigkeit gegenüber Verboten bei unseren Kindern zu erzeugen und ohne willentliche Regelverstöße zu produzieren. Wir nutzen die Erleichterungen, um langfristig auf rechtschaffenes Verhalten und die selbständige Einhaltung von Allahs Geboten hinzuarbeiten.

Was Eltern deshalb nicht tun, ist ihren Kindern von ihren eigenen Sünden zu erzählen. Oder ihnen in allen Details von ihrem Leben in ihrer „vorislamischen“ Zeit zu berichten. Oder ihnen gar Bilder oder Videos zu zeigen, die ihre Sünden abbilden, aus der Zeit, als sie den Islam noch nicht praktizierten oder noch gar keine Muslime waren. Konvertierte Eltern und Eltern, die später mit dem Praktizieren begonnen haben, erzählen ihren Kindern keine Details von ihren Sünden vor dem Islam. Das kann die kindliche Hemmschwelle vor der Sünde enorm herabsetzen. „Wenn Mama und Papa den Weg zum Islam zurückgefunden haben, dann kann ich doch auch mal etwas ausprobieren?!“, mag ein Kind oder junger Erwachsener sich denken. Gebt dem Shaytan kein Kanonenfutter, mit dem er die Herzen eurer Kinder beschießt! Der Muslim gibt sich selbst nicht die Blöße und deckt auf, was Allah (swt) in seiner Barmherzigkeit verdeckt hat, auch nicht und erst recht nicht vor den eigenen Kindern.

Der Gesandte Allahs (saw) sagte: „Meiner gesamten Ummah ist vergeben, außer denen, die rausposaunen. Zum Rausposaunen gehört, dass jemand nachts eine Sünde begeht und dann den Morgen erreicht, während Allah ihm sein Vergehen verdeckt. Dann sagt er: ‚Du soundso, ich habe gestern dieses und jenes getan.‘ Er verbrachte die Nacht, während Allah ihn verdeckte und begeht den Morgen, indem er Allahs Bedeckung von sich lüftet.“ (Sahih Al-Bukhari)

Es reicht, dass Kinder vom Prozess der Konversion ihrer Eltern erfahren und wissen, dass die Eltern davor Nicht-Muslime waren, ohne in Details zu gehen. Es reicht, dass die Eltern von ihrer Entwicklung in ihren positiven Aspekten erzählen und davon, wie sie zu Allah (swt) zurückgefunden haben. Erst wenn die Kinder erwachsen und in sha Allah in ihrem eigenen Islam gefestigt sind, können Eltern ein tieferes Bild von dem Prozess zeichnen. Jedoch ohne sündhaftes Verhalten aus der Vergangenheit auszuführen oder genauestens zu benennen.

„Von den Sünden einiger Sahaba aus ihrer vorislamischen Zeit wissen wir doch auch! Die Sahaba haben davon teilweise selbst berichtet!“, mögen manche Eltern entgegnen. Das ist vollkommen richtig. Jedoch handelt es sich bei ihnen um die beste Generation aller Zeiten, deren Rechtschaffenheit alle vorherige Falschheit überstrahlt. Sie sind der Grundstein der islamischen Geschichte und den vorislamischen Lebensstil der Araber zu kennen, ist für das richtige und tiefe Verständnis der Prophetensira ungemein wichtig. Die Berichte der Sahaba über ihr vorislamisches Leben sind nicht immer detailliert und stellen Frevelhaftigkeit und Sittenlosigkeit nicht unnötig oder detailreich zur Schau. Sie dienen ausschließlich der Verdeutlichung und der Bestärkung des Islam und seiner Vorgaben. Ihre Berichte fielen oft in eine Zeit, als der Islam bereits etabliert war, als die Gesellschaft islamisch war und Sündhaftigkeit zumindest nicht mehr öffentlich stattfand. Ihre Berichte trafen auf die Ohren gefestigter, vorbildhafter Muslime in einer allgemein islamischen Atmosphäre.

Unsere Kinder leben in einer Zeit, in der die Sünde sich aufdrängt. Eine Zeit, in welcher Haram leicht gemacht und Halal schwer gemacht wird. Eine Zeit, in der sie jeden erdenklichen inneren und äußeren Schutz vor der Sünde brauchen. Unsere Kinder schauen zu uns als unmittelbare Vorbilder auf und befinden sich in der Phase ihres Persönlichkeitsaufbaus und der Festigung. Die Veranschaulichung der Sünden ihrer Eltern kann beides gefährden. Unsere Kinder werden älter und werden verstehen, dass auch wir fehlbare Menschen sind. Sie werden verstehen, dass ihre Eltern konvertiert sind oder erst später ihre islamische Praxis aufgenommen haben. Sie kennen die Gesellschaft und wissen deshalb, was dies praktisch für ihre Eltern bedeutete. Das bedarf keiner Ausführung. Schweigen ist in diesem Fall keine Unaufrichtigkeit, sondern ein Schutz, in sha Allah.

Möge Allah (swt) unsere Sünden vor den Augen der Menschheit bedecken und sie aus den Aufzeichnungen unserer Taten löschen.