Ich muss euch gleich zu Anfang etwas gestehen: Ich liebe Ordnung! Ausräumen, aufräumen und sortieren hat fast therapeutische Wirkung auf mich. Wenn zu Hause Chaos herrscht, kriege ich keine Ordnung in meinen Kopf. Meine Toleranzgrenze für Unordnung ist dementsprechend gering. Es ist bei uns eigentlich immer aufgeräumt und sauber. Leider. Seit Jahren trainiere ich, Sachen einfach mal liegen zu lassen. Den Wäscheberg, das Geschirr in der Spüle, das herum-liegende Spielzeug. Manchmal klappt es besser und an manchen Tagen gar nicht.

Dabei weiß ich ganz genau, dass ein übermäßiger Ordnungssinn auf Kosten der Gemütslage der ganzen Familie gehen kann. Und ich merke, dass ich mich selbst überlaste, an mich selbst zu hohe Anforderungen stelle. “So bin ich halt!” könnte ich mich jetzt rausreden. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Wenn ich Besuch bekomme, wird häufig gelobt, wie ordentlich es ist. Ich bedanke mich dann freundlich für das Kompliment und wünsche mir insgeheim, dass wir Frauen aufhören, diesen subtilen Druck aufzubauen.

Wenn wir eine Freundin, eine Mutter besuchen, bei der es mal unordentlich ist, bei der Spielzeug herumliegt und die Kinder uns mit verschmierten, glücklichen Gesichtern die Haustür öffnen, warum sagen wir dann nicht: “Wie schön, dass ich an eurem echten Leben teilhaben darf! Dass du dir und den Kindern für mich keinen Druck gemacht hast! So fühle ich mich bei dir ohnehin wohler!” Einmal bekam ich von einer Verwandten Besuch, die weit weg wohnt und mich nur selten besuchen kann. Als sie in einer Ecke meines Wohnzimmers ein Spinnennetz sah, bat sie mich um einen Staubwedel und entfernte es. Das wars dann mit meinem Versuch, unordentlich zu sein. “Ab jetzt werde ich wohl auch die Zimmerdecke kontrollieren, bevor ich Besuch empfange.”, dachte ich mir.

“Ja das ist halt in den muslimischen Kulturen so! Die unterdrücken die Frau in jeder Hinsicht!” Dieses Narrativ teile ich nicht und das blinde Kulturbashing mache ich auch nicht mit. Der Druck auf Frauen und die unmenschlichen Anforderungen an uns sind ein globales Problem. Sie nehmen in den Kulturen nur unterschiedliche Formen an. In vielen muslimischen Kulturen ist es immer noch selbstverständlich, dass eine Mutter insbesondere kleiner Kinder nicht arbeitet. Sie wird nicht andauernd gefragt “was sie macht”. Obgleich auch dieser unsägliche Trend so langsam in die Länder der Muslime überschwappt. Dafür ist der Druck an das weibliche Aussehen, die häusliche Ordnung, die opulenten Mahlzeiten, die jeden Tag gekocht werden müssen, die Schulnoten der Kinder…immens hoch.

In Deutschland leiden wir unter den steten Fragen: “Was arbeitest du? Was hast du studiert? Geht dein Kind schon in die Kita?” Wir sollen so viel Zeit wie möglich außerhalb des Hauses verbringen. Auch gern mit den Tätigkeiten, die man zu Hause ohnehin machen würde. Aber es muss bezahlt werden, sonst ist es nichts wert. Jetzt dürfen wir Frauen uns also aussuchen, welche Art von Druck wir ausgesetzt sein möchten. Danke dafür. “Verlass dein Haus niemals unordentlich! Du weißt nie, wer dich spontan besuchen könnte.” Diese Binsenweisheit habe ich in meiner Jugend oft gehört. So oft, dass ich sie in mein Handeln übernommen habe. Obwohl ich genau weiß, wie sinnfrei das ist. Also arbeite ich mühsam daran, diesen und andere unsägliche Lehrsätze endlich abzustreifen.

Weil ich verstehe, dass das Leben nicht immer ordentlich ist. Das gehört zu meiner Überzeugung als Muslima. Ich kann im Diesseits nicht auf Perfektion hinarbeiten. Denn Vollkommenheit gebührt nur Allah. Und weil ich weiß, dass es in meinem Leben als Frau Prioritäten gibt. Ich habe begrenzte Kapazitäten, körperlich und zeitlich. Ich habe eine Vision für mich und meine Familie. Ich bitte Allah swt, dass meine Kinder den gesamten Quran auswendig lernen, dass sie den Fußstapfen des Propheten (saw) und seiner Sahaba folgen, dass sie das Elend der Muslime beenden, dass sie das Licht des Islam in die Welt tragen. “Ihr werdet Großes für Allah und Seinen Deen erreichen!” So sage ich es meinen Kindern fast jeden Tag.

Eine Mama mit Vision muss trotzdem aufräumen und putzen, keine Frage. Aber ich muss meine Prioritäten klar setzen. Wenn mich die fettigen Handabdrücke auf dem großen Spiegel im Flur förmlich angrinsen, dann versuche ich mich zu erinnern: “Allah wird dich nicht danach fragen, ob der Spiegel am Mittwochnachmittag um 16 Uhr sauber war, weil möglicherweise Besuch hätte kommen können. Aber Er wird dich dafür belohnen, dass du mit den Kindern am Mittwochnachmittag um 16 Uhr Tajweed geübt hast, damit sie Allahs Wort richtig rezitieren können.”

Ich habe zwei Söhne und eine Tochter. Ich möchte nicht, dass meine Jungs sich ihre Ehefrau später danach aussuchen, ob sie im Haushalt blitzeblank ist. Ich möchte, dass sie nach einer Ehefrau suchen, die ihre Familie als Projekt für Allah begreift. Ich möchte nicht, dass meine Tochter in mir eine Frau sieht, deren höchstes Ziel eine saubere Wohnung ist. Ich wünsche mir, dass meine Tochter an mir verstehen lernt, wie wichtig ihre Aufgaben für die gesamte Menschheit sind. Dass sie als Frau den Islam der kommenden Generationen prägt. Und dann habe ich noch den NUN Verlag, mein viertes Kind. Ich möchte, dass er uns als Familie hilft, ins Paradies zu gelangen. Meine Kapazitäten sind begrenzt, also muss ich weise Entscheidungen treffen. Was ist meine Lebenszeit wert? Wonach wird Allah mich fragen? Was wird mich am jüngsten Tag retten?

Häuser können sauber und gleichzeitig traurig sein. Häuser können unordentlich und fröhlich sein. Ich hoffe, dass unser Haus ordentlich und sauber ist. Doch vor allem fröhlich, gelassen und zufrieden. Die Prioritäten machen den Unterschied. Also seid bitte nicht so streng mit euch, wie ich es oft mit mir bin. Und vor allem: Seid nicht so streng miteinander. Lasst uns wohlwollend aufeinander blicken. Kinder brauchen einen gewissen Ordnungssinn und auch Struktur. Sie brauchen aber kein steriles Zuhause. Sie brauchen eine zufriedene, ausgeglichene Mama, die ihre Prioritäten kennt. Eine Mama, die Wäsche und Abwasch fürs Gebet, den Koran und für die Anliegen ihrer Familie liegen lässt. Eine Mama, die sich regelmäßig in Erinnerung ruft, dass Allah sie nach ihrer Lebenszeit befragen wird. Eine Mama, die sich und ihre Familie gut auf die Rückkehr zu Allah vorbereitet.