Eigentlich schreien alle Eltern mal und eigentlich mag niemand sein Kind anschreien. Denn insgeheim wissen wir Eltern ganz genau, dass unser Schreien keine Erziehungsmethode ist. Dass es unserem Kind nicht dabei hilft, etwas zu lernen oder sich positiv zu entwickeln. Wir schreien, weil wir mit einer Situation überfordert sind. Weil wir frustriert darüber sind, dass das Kind nicht das tut, was wir erwarten oder wollen. Warum sollten wir als muslimische Eltern daran arbeiten, unsere Kinder nicht anzuschreien?

Das kindliche Nervensystem ist sehr sensibel. Wenn wir unsere Kinder anbrüllen, bekommen sie wirklich Angst. Unsere Lautstärke und unsere Wut laufen bei den Kleinen wie durch einen Verstärker und werden als bedrohlich empfunden. Stell dir vor, dein Kind hat regelmäßig richtig Angst vor dir, weil du andauernd schreist. Kann dein Kind sich dann noch bei dir sicher fühlen? Wie wird sich eure Beziehung damit wohl entwickeln?

Wenn oft und bei Kleinigkeiten geschrien wird, versuchen die Kleinen diese bedrohlichen Situationen zu vermeiden. Manchmal dadurch, dass sie anfangen zu lügen, um Mamas oder Papas Wut zu entgehen. Manchmal dadurch, dass sie sich emotional zurück-ziehen, um sich vor dem Geschrei und der damit verbundenen Bedrohung zu schützen. Manchmalkann es passieren, dass die Kleinen Aggression als Gegenwehr zum Geschrei der Erwachsenen anstauen. Wenn in der Familie dauernd geschrien wird, stumpfen alle Beteiligten ab. Schreien hat nicht die Folgen, die wir uns erhoffen oder vormachen. Schreien bringt nichts bei. Schreien ist ein Ventil für die negativen Gefühle der Eltern.

Als muslimische Eltern tragen wir die Verantwortung in der Beziehung zu unseren Kindern. Wir sind Mukallafun (vor Allah swt für unsere Taten und Worte verantwortlich), unsere Kinder sind es vor der Geschlechtsreife noch nicht. Es liegt also an uns, sich richtig zu verhalten und für die Beziehung zu unseren Kindern die Verantwortung zu übernehmen. Wir werden bei Allah (swt) dafür zur Rechenschaft gezogen, wenn wir unseren Kindern Unrecht tun. Bitte denk an Folgendes:

Ein Mann kam zum Propheten ﷺ‏ und sagte: “Gib mir Rat.” Da sagte der Gesandte Allahs ﷺ‏: “Werde nicht wütend!” Und wiederholte es mehrfach. (Sahih al-Bukhari)

Der Gesandte Allahs ﷺ‏ sagte: “Stark ist nicht, wer kräftig ist. Vielmehr ist der Starke jener, der sich bei Wut unter Kontrolle hat.” (Sahih al-Bukhari)

Im Islam ist Barmherzigkeit die Grundlage im Umgang mit Kindern.

Denn der Gesandte Allahs ﷺ‏ sagte: “Es ist nicht von uns, wer nicht mit unseren Kleinen barmherzig ist.” (Sunan Abi Dawud und At-Tirmidhi)

Das Schreien zu vermeiden ist also unsere Aufgabe, nicht die Aufgabe unserer Kinder. Folgende Punkte können dir helfen, im Alltag weniger zu schreien: 

Wenn eine Situation dich überfordert und du merkst, dass die Wut in dir hochsteigt, dann suche sofort Zuflucht bei Allah und sprich:

أعوذ بالله من الشيطان الرجيم A’udhu billahi min ach-shaytan ar-rajim.

Wiederhole auch den Koranvers:

إِنَّ اللَّهَ مَعَ الصَّابِرِينَ Inna Allah ma’ as-sabirin. Allah ist mit den Standhaften!

Wenn in einer Situation Gefahr für dein Kind besteht, musst du natürlich eingreifen. Ansonsten: Zieh dich kurz zurück!

Nimm dir einen ruhigen Abend Zeit, die Situationen zu durchdenken und zu analysieren, in denen du schreist. Ist es morgens, weil es nicht schnell genug geht und du befürchtest, dass ihr alle zu spät kommt? Ist es beim Essen, weil die Kids sich und die Küche schmutzig machen?Finde deine “Schrei-Situationen” und entwickle Strategien, wie du den Druck rausnehmen kannst. Etwa indem ihr 5 Minuten früher aufsteht, du die Brotdosen schon abends vorbereitest, indem die Kleinen beim Essen einen Kittel tragen oder ein kleiner Waschlappen griffbereit liegt. Wenn du allgemein an Überlastung leidest, bitte um Hilfe und gib Aufgaben ab. Besprich mit den Kindern, warum du in gewissen Situationen überfordert bist und wie sie dir helfen können, dass du mehr Geduld hast. Dabei musst du klar kommunizieren, dass du ihre Hilfe brauchst und nicht, dass sie das Problem sind. Bitte sie, dich in solchen Situationen an Allah zu erinnern.

Passe deine Erwartungen der Entwicklungsstufe deiner Kinder und der kindlichen Natur an. Viel Druck entsteht in uns Eltern dadurch, dass wir viel zu hohe und unrealistische Erwartungen an unsere Kinder haben. Ein arabisches Sprichwort lautet: “Wenn du willst, dass dir gehorcht wird, dann verlange das Mögliche!” Als Gesellschaft müssen wir kindliches Verhalten wieder normalisieren und als Eltern müssen wir uns von falschen sozialen Erwartungen an Kinder lösen. Wer weiß, was sein Kind kann und was noch nicht, kann realistische Erwartungen hegen und machbare Aufgaben stellen. Dabei können Bücher über die kognitive Entwicklung von Kindern helfen. Dass Kinder stete Erinnerung und Ermahnung von uns Eltern brauchen ist vollkommen normal und richtig. Auch wir Eltern machen immer wieder die gleichen Fehler, obwohl Allah (swt) uns hundertfach im Quran ermahnt.

Nicht jedes Schreien wird gleich zum Kindheitstrauma. Aber andauerndes Schreien kann die Entwicklung deines Kindes ernsthaft beeinträchtigen und eure Beziehung dauerhaft belasten. Wenn du doch mal geschrien hast, dann lass eine echte Entschuldigung und ganz viel Liebe folgen!

إِنَّ الْحَسَنَاتِ يُذْهِبْنَ السَّيِّئَاتِ

“Die guten Taten lassen die bösen Taten vergehen.” (Sure Hud, Vers 114)