Die besitzergreifende “Liebe”

In der profitorientierten Gesellschaft wird unser Besitzstreben ständig genährt und kann selbst auf unsere Kinder übergreifen. Das Kind wird unterschwellig als Teil des Eigentums begriffen. Es wird nicht als eigenständige Person betrachtet, kann sich nicht entfalten und nur innerhalb eines festgesteckten Rahmens agieren. Die Eltern glauben, sie dürfen mit dem Kind willkürlich verfahren.

Im Islam sind unsere Kinder eine Amana, eine Treuhand. Sie sind nicht unser Eigentum! Vielmehr sind sie Geschöpfe Allahs. Es ist die Aufgabe der Eltern, für die Kinder eine eigene Beziehung zu Allah zu knüpfen und ihre Persönlichkeiten zu achten.

Die eifersüchtige “Liebe”

Dies kann häufig Mütter betreffen. Denn sie fühlen sich ihrem Kind untrennbar verbunden und investieren viel Zeit und Energie in ihre Kleinen. Wenn das Kind dann eine Beziehung zu einer anderen Person (insbesondere Frauen) aufbaut, reagiert die Mutter ablehnend und eifersüchtig. Sie mag es gar nicht, dass ihr Kind die Oma, Tante, Lehrerin oder Nachbarin liebt. Sie redet diese Personen schlecht.

Unsere Kinder dürfen und müssen früh lernen, Beziehungen außerhalb der Familie zu knüpfen. Sie haben eine eigene Gefühlswelt und sind in ihrer Liebe zu guten Persönlichkeiten zu unterstützen. Denn sie werden dereinst heiraten und Kinder bekommen und sollen in der Lage sein, all diese Beziehungen zu leben und zu genießen. Im Islam ist die Liebe zu anderen Muslimen ein wichtiges Band in der Gemeinschaft.

Der Gesandte Allahs ﷺ sagte: “Wenn jemand von euch seinen Bruder liebt, soll er es ihn wissen lassen.” (Sunan At-Tirmidhi)

Die überhöhende “Liebe”

Der elterliche Stolz kann dazu führen, dass das eigene Kind überhöht und zu Arroganz erzogen wird. Dies hat häufig mit dem überhöhten Selbstbild der Eltern zu tun. Das Kind wird andauernd in Superlativen gelobt (“Du bist der Beste!”) und sein Ego ungesund aufgebauscht. Das Kind wird idealisiert.

Im Islam bekommt niemand Zutritt zum Paradies, der Arroganz im Herzen trägt. Kinder, die derart überhöht werden, neigen zu Perfektionismus, der nicht selten in selbstzerstörerisches Verhalten umschlagen kann. Sie sind nie mit sich und anderen zufrieden, fühlen sich getrieben und bemessen sich selbst mit übermenschlichem Maß. Sie sind mit anderen unbarmherzig und gestehen keine Fehler ein.

Der Gesandte Allahs ﷺ sagte: “Wer in seinem Herzen auch nur ein Atomgewicht an Hochmut hat, wird das Paradies nicht betreten.“ (Sahih Muslim)

Die blinde “Liebe”

Liebe kann blind machen, so lautet schon das Sprichwort. Hierbei handelt es sich um Eltern, die die Fehler ihrer Kinder nicht sehen wollen und der Meinung sind, dass ihr Kind stets alles richtig macht. Dies führt dazu, dass das kindliche Verhalten nicht die nötigen Grenzen gesetzt bekommt. Die Fehler des Kindes haben keine Konsequenzen, es lernt kein Verantwortungsbewusstsein.

Im Islam zielt die Erziehung darauf ab, den kindlichen Charakter nach dem prophetischen Vorbild zu formen und das Kind auf seinen Taklif vorzubereiten. Jeder macht Fehler und muss auf sie hingewiesen werden, um sie zu korrigieren und Verantwortung für das eigene Verhalten zu erlernen. Denn mit der Geschlechtsreife treten die Kinder in ihre eigene Verantwortlichkeit vor Allah (swt) ein, darauf bereiten wir sie vor.

“Jeder Sohn Adams macht Fehler. Die Besten von denen, die Fehler machen, sind die Reumütigen.” (Sunan At-Tirmidhi)

Die erdrückende “Liebe”

Eltern können ihre Kinder mit der eigenen Liebe erdrücken. Den Kindern wird kein Freiraum gelassen. Zu jedem Zeitpunkt müssen die Eltern wissen, was das Kind macht und wie es ihm geht. Alles wird kontrolliert, der Tagesablauf des Kindes ist vollständig durchstrukturiert. Das Kind darf keine Risiken eingehen, nichts Neues wagen, alles ist bis ins Detail mit den Eltern abzusprechen.

Selbstverständlich sind wir als Eltern für unsere Kinder verantwortlich und haben für ihre Sicherheit zu sorgen. Gleichzeitig brauchen sie Freiräume, um sich auszuprobieren, kreativ zu werden, an Herausforderungen zu wachsen, Neues zu lernen und Selbständigkeit zu entwickeln. Als Eltern müssen wir unsere Kinder in die Eigenständigkeit entlassen.

“am Tage, da der Mensch seinen Bruder fluchtartig verlässt, sowie seine Mutter und seinen Vater” (Sure ‘Abasa, Verse 34, 35)

Die egoistische “Liebe”

Manche Eltern betrachten ihre Kinder als kleine Versionen oder Verlängerungen ihrer selbst. Sie projizieren ihre Wünsche, Ambitionen, Ängste und Ziele auf ihre Kinder. Die kindliche Persönlichkeit wird unterdrückt, denn sie muss dem elterlichen Vorbild entsprechen. Den Kindern wird ein Studiengang vorgegeben, ein Beruf, der Ehepartner und überhaupt ihr ganzer Lebensweg.

Unsere Kinder sind eigenständige Geschöpfe und Diener Allahs. Sie haben ihre eigene Beziehung zu Allah (swt) und zu anderen Menschen. Wir leiten sie als Kinder an und geben ihnen als Erwachsene guten Rat. Doch ihre Entscheidungen treffen sie selbst und müssen sie dereinst selbst vor ihrem Schöpfer verantworten.

“Wer gute Werke verrichtet, tut es für sich selbst, und wer böse Taten begeht, tut es gegen sich selbst. Dein Herr tut Seinen Dienern niemals Unrecht.” (Sure Fussilat, Vers 46)

Die grenzenlose “Liebe”

Eltern können aus falsch verstandener Liebe zu ihren Kindern die Grenzen Allahs und des Vernünftigen überschreiten. “Ich kann nicht beten, weil mein Kind in der Zeit weint…aber mein Kind liebt Cola so sehr, ich kann sie ihm nicht verbieten…aber dieses Anime schaut mein Kind so gern, das kann ich nicht untersagen…” So lernen unsere Kinder, dass die Vorgaben Allahs von unserem emotionalen Zustand abhängen und dass die eigenen Emotionen richtig und falsch bestimmen.

Was immer Allah (swt) uns an Geboten und Verboten auferlegt hat, ist gut für uns. Diese Überzeugung müssen wir unseren Kindern in unserem Verhalten verkörpern. Nur so werden sie an ihre eigene Abrechnung heran-geführt und daran, dass die Vorgaben des Islam nicht zur persönlichen Disposition stehen. Nur so lernen sie Konsequenz und Selbstkontrolle.

“Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, während es gut für euch ist, und vielleicht ist euch etwas lieb, während es schlecht für euch ist. Allah weiß, ihr aber wisst nicht.” (Sure Al-Baqara, Vers 216)